Die Gottin des Sternentanzes - Unter dem Weltenbaum 06
den Knien
geschaukelt und Euch Lieder vorgesungen. Ihr habt mir
gerne zugehört. Schon als Säugling erwiest Ihr Euch als
lernbegierig. Genau so wie heute Euer Caelum.«
Axis spannte unter Morysons Stiefel alle Muskeln an,
aber der Zauberer lachte nur. »Und wer sorgte dafür, daß
man Euch zwar an die Front von Gorken schickte, Ihr
dazu aber den Umweg über den Wald der Schweigenden
Frau und Smyrdon einschlagen mußtet?«
»Um den Wächtern und Aschure zu begegnen?«
»Ach ja«, lächelte Moryson, »Ihr seid immer noch genauso pfiffig.«
Aber dann trat er einen Schritt zurück, um den Sternenmann freizugeben, und während dieser sich aufrichtete, nahm der Zauberer eine viel ältere Gestalt an.
Axis hielt mitten in der Bewegung inne, weil er mit
dieser Verwandlung nun doch nicht gerechnet hatte.
Vor ihm stand ein ausnehmend schöner Ikarier in einem glänzenden silbernen Gewand, das bei jeder seiner
Bewegungen bläulich aufblitzte. Er hatte seine silbernen
Schwingen ausgebreitet, und in seinen Augen paarten
sich tiefste Weisheit und unsägliche Traurigkeit. Axis
stockte bei diesem Anblick der Atem.
»So bin ich den Wächtern erschienen«, erklärte der
Vogelmann.
Der Krieger starrte ihn verständnislos an.
»Als Prophet«, half ihm der Ikarier auf die Sprünge.
»Aber wieso?« flüsterte Axis. »Warum die Prophezeiung? Wozu all der Aufwand? So sprecht doch, ehe ich
noch den Verstand verliere!«
Die Gestalt des Propheten verschwamm, und nun kam
das wahre Aussehen des Mannes zum Vorschein – das
Wolfsterns. »Wollt Ihr Euch zu mir setzen, Sternenmann,
damit wir uns in Ruhe unterhalten können? Der Heilige
Hain läuft Euch schon nicht davon, und Ihr steht bestimmt nicht als wortbrüchig da, wenn Ihr Euch erst in
einer Stunde auf den Weg macht, Euer Versprechen an
Faraday zu erfüllen.«
»Wißt Ihr eigentlich alles?«
»Na ja, das meiste«, antwortete Wolfstern. »Doch seid
versichert, daß die Prophezeiung auch für mich die eine
oder andere Überraschung bereithielt. Und nun tut mir
die Liebe, und setzt Euch zu mir.«
Zögernd ließ der Krieger sich ihm gegenüber nieder
und zwang sich zur Ruhe. »Also?«
»Was, also?«
»Erzählt mir alles über die Prophezeiung. Warum habt
Ihr sie ins Leben gerufen? Nur als närrischen Scherz zu
Eurer persönlichen Unterhaltung?«
Der uralte Zauberer seufzte und fuhr sich durch die
kupferroten Locken. »Ein närrischer Scherz?« Er lachte
kurz auf, breitete die goldenen Flügel aus und faltete sie
gleich wieder zusammen. »Nun, die Prophezeiung hat
sehr wohl eine Bedeutung, eine sehr tiefe Bedeutung sogar.«
Wolfstern machte es sich etwas bequemer. Ȇbrigens
habe ich die Weissagung vom Zerstörer nicht wirklich
erschaffen, sondern sie nur niedergeschrieben.« Er grinste. »Stellt Euch nur vor, Axis: Als Ihr damals in der
Burg der Schweigenden Frau die Prophezeiung erstmals
gelesen habt, waren die letzten Finger, die diese Seiten
berührt hatten, die meinen.«
Aber der Krieger winkte nur ungeduldig ab, und der
Zauberer seufzte. »Gewisse Dinge zu erklären, würde
mich Jahre kosten. Und davon abgesehen, müßtet Ihr erst
noch an Weisheit zunehmen, ehe Ihr sie überhaupt erfassen könntet. Also will ich mich damit gar nicht erst aufhalten. Deshalb nur soviel: Ich starb – die genaueren
Umstände dürften Euch ja bekannt sein – und wurde in
den Alten Grabhügeln neben den anderen Zaubererkrallenfürsten zur letzten Ruhe gebettet. Mit mir zusammen
waren wir neun.« Er sah Axis ernst an. »So gelangte ich
durch das Sternentor und fand mich in einer anderen Daseinsform wieder.«
Damit schwieg er zunächst einmal, und für eine Weile
sprach keiner von ihnen ein Wort.
»Ich lebte also fort«, nahm Wolfstern dann seinen Bericht wieder auf, und der Krieger zuckte zusammen, weil
nun Sterne in den Augen des uralten Zauberers kreisten.
»Mehr kann ich Euch dazu leider nicht sagen. Aber während ich dort weilte, wurden mir gewisse Kenntnisse zuteil … die mich dazu bestimmten, wieder in diese Welt
zurückzukehren.«
»Wartet!« unterbrach Axis ihn. Die Feindschaft, die er
für Aschures Vater empfand, war hintangestellt in seinem
Verlangen nach Verstehen und Wissen. »Vor einigen
Jahren hat Veremund mir Eure Geschichte als Krallenfürst erzählt.«
Wolfsterns Miene blieb ausdruckslos – nur eine Ader
klopfte an seinem Hals.
»Der alte Mönch deckte mir auf, wie sehr Ihr von Jugend an von der Möglichkeit träumtet, daß neben dieser
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