Die Gottin des Sternentanzes - Unter dem Weltenbaum 06
zusehends. Doch selbst das spielte keine Rolle
mehr, wenn er nur das, was er an Erkenntnissen gewonnen hatte, zur Vernichtung Axis’ einzusetzen vermochte.
Der Aufklärungsflug mit dem Greifen hatte im großen
und ganzen nicht viele Neuigkeiten gebracht – er hatte
gesehen, daß ein großes Nest zerstört und eine riesige
Schar Ausgeschlüpfter niedergemetzelt wurde –, aber
womöglich ließ sich aus dem etwas machen, was er sonst
noch durch die Bestie erfahren hatte …
Wer war diese dunkelhaarige Frau gewesen?
Wer, wer, wer?
Und warum hatte der Krieger sie mit soviel Liebe und
Zuneigung angesehen, wenn sein Herz doch eigentlich
Faraday gehörte?
Was hatte es mit dem Bogen auf sich, den die Fremde
über der Schulter trug? Und welche Macht wohnte diesem Rudel Köter inne, das sie auf Schritt und Tritt begleitete?
Wer … wer … wer …
Genau, das war’s!
Der Zerstörer sprang aufgeregt aus seinem Sessel. Zu
hastig, denn er wäre beinahe auf dem Boden ausgeglitten.
Nur die Krallen an seinen Flügelspitzen, die sich gerade
noch rechtzeitig am Kaminsims festklammerten, bewahrten ihn vor einer höchst unrühmlichen Rutschpartie.
Aber das störte ihn augenblicklich wenig, denn eine
halbvergrabene Erinnerung war an die Oberfläche gelangt … Ein Ereignis, das der Zerstörer damals als unbedeutend abgetan hatte, weil sich gerade scheinbar wesentlich wichtigere Dinge ereigneten.
Dabei konnte es sich bei dieser eher unwichtigen Nebensächlichkeit in Wahrheit um das bedeutendste Ereignis überhaupt handeln.
Nachdem Axis damals diesem Obertrottel Bornheld
die Hauptstadt Karlon abgenommen hatte, hatte Gorgrael
einen Greifen zum Gralsee geschickt, um dort Ausschau
zu halten. Die Himmelsbestie hatte gute Arbeit geleistet
und etliche neue Erkenntnisse an ihren Herrn übermittelt.
Aber dann hatte das dumme Ding einen nicht wiedergutzumachenden Fehler begangen. Die alte Greifin war
durchaus klug gewesen, aber während der Kämpfe um
die Gräben von Jervois hatte sie Geschmack an Menschenfleisch entwickelt. Als sie dann die Frau und das
kleine Kind ganz allein oben auf dem weißen Turm gesehen hatte, war ihr das Wasser im Schnabel zusammengelaufen. Ohne gründlich nachzudenken, hatte der Greif
die beiden angegriffen, und alles, was die Bestie bis zum
Moment ihres Todes gesehen hatte, hatte sie mit Gorgrael geteilt.
Der Zerstörer stand jetzt mitten in seinem Gemach und
bebte vor Aufregung. Er rief sich alles ins Gedächtnis
zurück, was der Greif ihm damals mitgeteilt hatte. Das
Tier war mitten aus der Sonne hinabgestoßen. Eine ausgezeichnete Taktik, denn die Frau auf dem Turm hatte
die Bestie erst im letzten Moment bemerkt. Und dann
geschah das Merkwürdige: Statt Mutter und Kind in Fetzen zu reißen, wurde die Greifin Opfer einer übermächtigen Kraft und wurde von dieser in ihre Bestandteile zerlegt … Besser konnte Gorgrael das Gedankenerlebnis
nicht beschreiben. Jemand hatte die Zauber, aus denen
der Zerstörer die Himmelsbestie gewoben hatte, Stück
für Stück auseinandergenommen, bis der Greif zerfallen
war. Und bei diesem jemand konnte es sich nur um die
Schwarzhaarige gehandelt haben, die Frau, die jetzt an
Axis’ Seite ritt.
Gorgrael beschäftigte sich jetzt in Gedanken ausschließlich mit der Mutter und dem Kind. Norblut floß in
ihren Adern, und von den Frauen der Nor war bekannt,
daß sie gern als Marketenderinnen im Troß von Armeen
mitzogen. Ihnen schien es zu genügen oder sogar Freude
zu machen, Soldaten für eine Mahlzeit oder die nächtliche Wärme einer Schlafstatt ihre Gunst anzubieten …
Eigentlich wenig überraschend, die Schwarzhaarige im
Gefolge einer siegreichen Armee wie der von Axis anzutreffen. Und was daraus geworden war, hatte man ja oben
auf dem weißen Turm sehen können.
Der Zerstörer rief sich das Bild des erschrockenen
kleinen Kindes ins Gedächtnis zurück. Es besaß die
Hautfarbe der Mutter, wies aber auch unzweifelhaft ikarische Züge auf.
Vermutlich hatte diese Nor es mit einem dieser geflügelten Ungeheuer getrieben.
Früher hätte er sich mit diesen Schlußfolgerungen zufriedengegeben. Aber nicht heute. Nicht, nachdem er sie
zusammen mit Axis erlebt hatte.
Nicht, nachdem er die innigen, liebevollen Blicke des
Kriegers gesehen hatte.
Moment, Moment … besaß der Kleine womöglich
auch Ähnlichkeit mit Axis?
Ja! Eindeutig ja!
Gorgrael brüllte vor Begeisterung, bis sein Lärmen
viele Meilen weit über die Tundra schallte. Aufgeregt
rannte er
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