Die Gottin des Sternentanzes - Unter dem Weltenbaum 06
durch den Raum, öffnete und schloß die Hände
und spreizte die Schwingen. Seine Krallen hinterließen
tiefe Kratzer in den Möbeln.
Die Frau –
Das Kind –
Der Zerstörer blieb wie vom Schlag getroffen stehen,
und die Augen traten ihm fast aus den Höhlen, als ihm
plötzlich einfiel, was in dem Augenblick geschehen war,
nachdem die Nor seinen Greifen zerstört hatte … Lieber
Mann war wie aus dem Nichts aufgetaucht … so wütend,
daß er sich kaum wieder beruhigen ließ.
Bei allen Sternen des Universums! Was habt Ihr da
wieder angerichtet?
Ja, wirklich, so aufgebracht hatte Gorgrael den Dunklen noch nie erlebt.
Und das nur wegen einer Menschenfrau und ihres
Bankerts?
Offenbar …
Der Zerstörer ließ sich in seinen Sessel fallen und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Das bedeutete doch
etwas … aber was nur?
Irgendeine Verbindung bestand zwischen Lieber Mann
und der Frau. Oder zwischen Lieber Mann und dem Kind
… Nein, nein, er war nicht wegen des Kindes so wütend
gewesen … sondern wegen der Frau.
Warum?
Der Dunkle hatte seinem Lehrling von Anfang an die
drei Strophen der Weissagung eingebläut. Vor allem die
dritte Strophe hatte Lieber Mann ihm wieder und wieder
vorgetragen; denn in ihr steckten die wichtigsten Aussagen. Die Liebste, von deren Schmerz der Sternenmann
sich nicht ablenken lassen durfte, weil Gorgrael dann
zum tödlichen Schlag ausholen könnte …
Aber wenn der Dunkle – aus welchen Gründen auch
immer – in Wahrheit versucht hatte, seinen Schüler in die
Irre zu führen? Wenn die besondere Verbindung zu dieser Schwarzhaarigen ihn dazu getrieben hatte?
Wenn Lieber Mann ihn nun in all den Jahren belogen
hatte?
Der Zerstörer kreischte vor Wut und zerriß den kleinen Teppich vor der Feuerstelle.
Welche Frau war Axis’ Liebste?
Faraday oder diese schwarzhaarige Marketenderin, die
man öfter an Axis’ Seite sah als die Edle?
Welche von beiden könnte er dazu benutzen, den
Krieger erfolgreich abzulenken?
Und bei welcher von beiden brauchte er sich diese
Mühe gar nicht erst zu machen?
»Hat der Dunkle mich mein Leben lang belogen und
betrogen?« fragte sich der Zerstörer, während er vor dem
Kamin saß.
Faraday … oder die andere?
Gorgrael knurrte und warf die Teppichfetzen ins Feuer. Sie verbrannten mit einem unangenehmen Gestank,
der sich in der ganzen Kammer festsetzte. Er atmete tief
durch, um sich zur Ruhe zu zwingen. Wenn er sich zu
sehr aufregte, konnte er nicht mehr klar denken.
»Ihr seid ganz schön gerissen«, lobte der Zerstörer
sich schließlich grinsend selbst. »Warum nicht beide ergreifen? Eine von beiden muß es ja sein. Und wenn ich
beide umbringe, kann ich mich nicht irren.«
Doch die gute Laune verließ ihn rasch wieder. Warum
ging das nicht? Weil er die Aura der Macht gespürt hatte,
die von der Schwarzhaarigen ausging. Greifen und Skrälinge waren durch ihre Hand gestorben. Diese Nor stellte
eine Gefahr dar. Wenn er sie nun in seine Gewalt brachte
und sie dann nicht zu unterwerfen vermochte? Zu dumm,
zu dumm …
Und wenn Lieber Mann sie nun genauso ausgebildet
hatte wie ihn? Immerhin hatte die Frau die Macht der
Dunklen Musik angezapft, um den Greifen zu zerstükkeln.
Gorgrael wimmerte und rollte sich vor dem Feuer zu
einer Kugel zusammen.
Der Sohn …
Zuerst nahm er den Gedanken gar nicht bewußt wahr,
der sich am Rand seines Bewußtseins entwickelte.
Der Erbe …
Gorgrael blinzelte und richtete sich wieder auf.
Der Sohn – die Schwachstelle. Für wen empfand ein
Mann mehr, für seine Liebste oder für seinen Erben? Der
Säugling hatte sicher einiges von den Fähigkeiten seines
Vaters geerbt, aber gewiß konnte er sich dieser Macht
noch nicht in dem Maße bedienen, um dem Zerstörer
gefährlich zu werden. Nein, ganz gewiß nicht.
Und erst recht dann nicht, wenn er von seinen Eltern
getrennt würde.
In absehbarer Zeit würde der Krieger von Sigholt in
den Norden aufbrechen. Und zweifellos würde die
Schwarzhaarige ihn auf diesem Feldzug begleiten.
Und bei einem solchen Unternehmen nahm man doch
ganz sicher kein kleines Kind mit?
Nein.
Natürlich nicht.
7 F ESTE
G
ORKEN
Timozel hockte inmitten der Trümmer in der Großen
Halle der Burg von Gorken und ließ sich von seinen Erinnerungen hinwegtragen.
Er dachte an die großen Pläne, die er hier mit Bornheld geschmiedet hatte, weil er noch der Meinung gewesen war, der Herzog von Ichtar und baldige König des
Reiches sei sein wahrer Herr und Meister, für den er gewaltige Siege
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