Die Gottin des Sternentanzes - Unter dem Weltenbaum 06
Eisfestung,
suchten, spähten und jagten.
Aber sie kamen zu spät.
Der Himmel war bewölkt, der Mond hatte sich verzogen, und schwärzeste Nacht herrschte.
Von der Frau und dem Kind war nichts mehr zu sehen.
»Spürt sie auf!« befahl Gorgrael, und die Himmelsbestien verdoppelten ihre Anstrengungen.
»Ergreift sie!« flüsterte der Zerstörer, und mittlerweile
war es ihm gleich, was seine Greifen zwischen ihre Krallen bekamen, Hauptsache, sie richteten irgendwo ein
Blutbad an. Zerfetzten Leiber! Rissen Gliedmaße von
Rümpfen! Stillten ihren Blutdurst.
Und Gorgrael dachte sich ein Ziel für sie aus.
17 D RACHENSTERN
Das Mondlicht flammte wieder auf, und Adamon mußte
die schmerzenden Augen abwenden.
»Aschure?« fragte er, als das Strahlen nachließ.
»Aschure?«
Sie kniete hier oben vor ihm, hielt ihr Kind im Arm
und wiegte es sanft.
Der Gott erhob sich, trat zögernd zu ihr und betrachtete sie von oben bis unten. Sie schien unverletzt zu sein.
Doch leider ließ sich das nicht von ihrem Erstgeborenen
sagen. Adamon stockte der Atem, als er all die Blutergüsse und Striemen auf Caelums Körper erblickte.
Schließlich legte er ihr seine Hand auf die Schulter.
»Aschure?«
Sie drehte den Kopf und sah ihn mit klaren, aber harten Augen an. »Schaut nur, wie er meinen Sohn zugerichtet hat«, sagte sie leise.
»Wird Caelum …« Der Gott fürchtete sich, die Frage
zu Ende auszusprechen.
»Ob er durchkommt?« Sie senkte den Blick und nickte. »Ja. Keine dieser Verletzungen ist lebensbedrohlich,
und mit Pflege, Ruhe und viel Liebe wird er vollkommen
gesunden. Zumindest körperlich. Aber wer vermag schon
zu sagen, welche Schäden in seiner Seele angerichtet
wurden?«
Der Kleine regte sich, und Adamon wie Aschure hielten den Atem an.
»Mutter«, sagte Caelum sehr leise, streckte eine Hand
aus und griff nach einer Strähne, die über ihrer Brust
schwebte. »Mutter, Ihr seid gekommen.«
Der oberste Gott atmete erleichtert auf: »Er hat auf
Euch gebaut, meine Liebe, und Ihr habt ihn nicht enttäuscht. Nichts könnte für ihn wichtiger sein.«
Aschure drückte ihren Sohn so fest an sich, wie sie nur
wagte, und Tränen liefen ihr über die Wange. »Danke,
Adamon.«
»Ich habe Euch nur zusätzliche Macht verliehen. Die
Kraft und der Mut, diese Unternehmung durchzuführen,
entsprang allein aus Euch.«
»Ihr habt mir aber auch gesagt, wie ich vorgehen sollte.«
Der Gott lächelte und strich ihr ein paar Strähnen aus
dem Gesicht. Dann beugte er sich vor und küßte sie auf
die Wange. »Und ist Gorgrael Euren Verlockungen nun
erlegen? Erwuchs seine Begierde so stark, daß sie sein
angeborenes Mißtrauen übertraf?«
Aschure lachte. »Ob er meinen Reizen erlag? Mehr als
Ihr Euch vorstellen könnt, Adamon. Ich fürchte, heute
nacht habe ich nicht nur seinen Stolz verletzt.«
Als Rivkah die Große Halle betrat, um zu frühstücken,
blieb sie schon nach wenigen Schritten überrascht stehen.
Aschure saß vor dem Feuer, trug ein hellgraues Gewand, und auf ihrem Schoß schlief Caelum.
Rivkah blinzelte mehrmals, weil sie glaubte, sich ge
irrt zu haben. Gewiß handelte es sich da um ein anderes
ihrer Kinder. Als sie näher trat, drehte die junge Frau den
Kopf zu ihr und lächelte sie an. So viel Schönheit, Frieden und Zufriedenheit lagen in ihrem Blick, daß Rivkah
Gewißheit erhielt. Bei dem Kind auf ihrem Schoß konnte
es sich nur um Caelum handeln. Mit klopfendem Herzen
blieb sie vor Aschure stehen. »Wie …«
»Habt Ihr letzte Nacht geträumt?« fragte die Zauberin
zur Antwort.
Rivkah errötete ein wenig. Ja richtig, sie hatte geträumt, auch wenn sie sich heute kaum noch richtig erinnern konnte. Dafür waren ihr aber die Gefühle im Gedächtnis geblieben, die dieser Traum in ihr ausgelöst
hatten. Wie hatte sie sich in ihrem Zustand nur so gehen
lassen können?
Aschure lächelte. »Eure Wangen verfärben sich so
sehr wie vorhin bei dem Pagen, der mir das Frühstück
auftrug. Ich weiß wirklich nicht, was über Euch alle gekommen ist.«
Rivkah gewann ihre Fassung zurück und nahm am
Tisch Platz. Da erschien der Page, dessen Wangen immer
noch rosig leuchteten, und stellte ihr eine Platte mit Obst
und einen Korb mit Brot hin. Dann kehrte er fast schneller, als ihn seine Füße tragen konnten, in den Schatten
neben der Tür zurück.
»Das ist doch Caelum, nicht wahr?« fragte Rivkah und
beachtete das Essen nicht, weil sie nur Augen für ihren
ersten Enkel hatte. Der Kleine hatte überall Kratzer und
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