Die Gottin des Sternentanzes - Unter dem Weltenbaum 06
Herrin, es war Euer anderer Sohn,
Drachenstern.«
Kassna zuckte heftig zusammen, als die Tür ihrer Kemenate aufgerissen wurde. Aschure stürmte herein … mit
Caelum im Arm … tatsächlich, es war Caelum! Hinter
ihr taumelte Rivkah, die vom raschen Lauf noch ganz
außer Atem war. Und dazu noch Reinald, der uralte ehemalige Koch der Burg, und Sol Baldwin, der Hauptmann
der Wache von Sigholt.
»Wo ist er?« fragte die Zauberin gefährlich leise. Sie
hielt ihren Erstgeborenen auf dem Arm, der nun ganz
wach war, kurz Kassna anblickte und dann zu Boden sah.
»Ihr habt ihn zurück!« rief die Nor und hörte sich so
erleichtert an, daß Aschure ihre Wut zügelte. Sie war sich
vorher nicht sicher gewesen, inwieweit Belials junge
Gemahlin in die ganze Sache verwickelt war. Doch nun
erkannte sie, daß diese unwissentlich zur Erfüllungsgehilfin bei Drachensterns bösem Ränkespiel geworden
war.
»Ja«, entgegnete sie, »ich habe ihn zurück. Doch wo
steckt mein anderer Sohn?«
Kassna setzte ein Lächeln auf. Also versperrte Aschure doch nicht so sehr ihr Herz gegen Drago. Wahrscheinlich tat sie nur so, wenn Axis zugegen war. Wie schön.
»Ich hole ihn Euch gleich.« Die Nor eilte in das Nebenzimmer, beugte sich über die Wiege und prallte vor
Dragos Gesichtsausdruck erschrocken zurück.
»Mein Lieber, was ist mit Euch?«
Sie beugte sich tiefer und erkannte zu ihrem Entsetzen,
daß sich sein ganzer kleiner Körper verkrampft hatte. Ob
er sich eine Krankheit zugezogen hatte?
Kassna gewann den Eindruck, daß er sie regelrecht
anknurrte, als sie ihn aus der Wiege hob. Er streckte Arme und Beine so steif aus, daß sie ihn nicht an die Brust
drücken konnte, sondern vor sich her tragen mußte, als
sie in den Hauptraum zurückkehrte.
»Ich weiß nicht, was ihm fehlt«, erklärte sie mit besorgtem Blick.
»Dafür ich um so mehr«, entgegnete Aschure. »Kassna, was ich jetzt tun werde, wird für niemanden sehr angenehm sein. Deswegen will ich auch nicht Eure Kemenate mit der Erinnerung daran vergiften. Doch ich
brauche Euch als Zeugin, ebenso wie Rivkah, Reinald
und Sol. Kommt mit, wir steigen auf den Turm. Mein
Vorhaben läßt sich besser im Freien durchführen.«
Caelum traten bei der Erinnerung an den Turm angstvolle Tränen in die Augen.
Wenn Ihr wollt, könnt Ihr mitkommen, mein Sohn.
Wenn nicht, lasse ich Euch in der Obhut der Kindermädchen zurück. Was wäre Euch lieber?
Der Kleine zitterte, aber noch mehr als die Erinnerungen an den Turm fürchtete er sich davor, wieder von seiner Mutter getrennt zu sein. Ich komme mit.
Ich werde dort aber etwas sehr Unschönes tun … doch
auf der anderen Seite wird es gut für Euch sein, die Tat
zu bezeugen.
Ja, Mutter.
Aschure hatte vorher schon einen Diener hinaufgeschickt. Als die Gruppe auf der höchsten Plattform des
Turms anlangte, stand dort bereits ein Tisch, bedeckt mit
einem schneeweißen Tuch.
Der Diener hatte sich zurückgezogen, aber zwei ikarische Zauberer, die aus dem Süden herangereist waren,
standen hier bereit.
Sie nickten Aschure stumm zu. Die junge Frau hatte
sie mit ihrer Gedankenstimme auf den Turm bestellt. Sie
ahnten bereits, was nun geschehen sollte.
»Aschure?« fragte Kassna nun sehr besorgt. »Was
habt Ihr nur vor?«
Die Nor wandte sich hilfesuchend an Rivkah, aber
diese konnte sich genauso wenig wie sie vorstellen,
was geschehen würde. Kassna wußte plötzlich mit
vollkommener Gewißheit, daß es etwas Furchtbares
sein würde; denn Aschures Blick war hart geworden,
und auch Rivkah stand starr und unbehaglich da. Reinald und Sol, ebenfalls angespannt, stellten sich hinter
Rivkah, senkten die Blicke und verschränkten die Hände ineinander.
»Kassna«, begann die Zauberin nun, »legt Drachenstern auf den Tisch und befreit ihn von seinen Kleidern
und Windeln.«
»Aber Aschure …« entfuhr es der Nor.
»Tut es!« befahl die Jägerin mit so eisiger Stimme,
daß Kassna zusammenfuhr.
Gehorsam trat sie dann aber an den Tisch und legte
Drago darauf. Doch der fing im selben Moment an zu
schreien, als sie ihm die Kleider öffnen wollte.
»Aschure!« flehte Kassna.
»Tut es!«
Zitternd zog die Nor die Decken von dem zarten Körper und ließ sie auf den Boden fallen. Danach knöpfte sie
ihm sein weiches Kleidchen auf, zog es über seinen Kopf
und befreite ihn von seiner Hose. Als sie schließlich auch
noch die Leinenwindeln entfernt hatte, lag der Kleine
völlig entblößt da, der Morgensonne und den Augen der
Zeugen
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