Die Gouvernante und ihr geliebtes Ungeheuer („Geliebte Widersacher“) (German Edition)
Realität entfernt waren.
Serena hatte aus drei Jahren Lohn vierzig Pfund angespart. Sie hatte zwar genug für die Gegenwart, aber nicht so viel, dass sie es sich leisten konnte, über die Vergangenheit zu grübeln. Aber sie konnte sich aus ihrer derzeitigen Lage nicht befreien, indem sie irgendwelchen rosigen Tagträumen nachhing. Die Wirklichkeit wartete auf sie: Sie war schwanger, und sie hatte kein Einkommen.
Serena faltete die Zeitung in Viertel, versteckte die Liste mit den Pachtanzeigen und schaute hoch in die anbrechende Nacht.
Sie zwang sich, die verdammenden Worte zu wiederholen. Sie war schwanger. Sie hatte kein Einkommen. Und sie hatte soeben einen Rückschlag erlebt – einen schlimmen Rückschlag.
Mr. Marshall hatte so sicher gewirkt, so gewöhnlich. Sie hatte sich seit Monaten nicht in der Gegenwart eines Mannes so wohl gefühlt. Als er den Zweig aufgehoben und ihn zwischen sie gelegt hatte, hatte ein dummer Teil von ihr tatsächlich geglaubt, dass er eine Mauer war, dass sie aufatmen konnte.
Er hatte in ihr Träume an das geweckt, was hätte sein können: ein Nachmittag mit einem Mann, der sie zum Lächeln brachte, der sie nicht anschaute, als sei sie ruiniert. Sie hatte von einer Welt geträumt, in der ihr jede Zukunft offenstand, wenn sie nur den richtigen Schlüssel finden konnte. Sie wollte Attraktion fühlen, Zuneigung und Sicherheit.
Liebe.
Es war sicher närrisch, von einer Unterhaltung auf einem öffentlichen Platz zu Liebe zu springen. Aber wenn ein Mann mit ihr lächeln und sich mit ihr unterhalten konnte, warum dann nicht auch ein weiterer?
Während sie auf der Bank gesessen hatte, hatte ihr Was-sein-könnte im Sonnenschein geglitzert.
Aber Mr. Marshall war kein lächelnder freundlicher Mann. Er war das Ungeheuer von Clermont, ein Mann, der für seine Erbarmungslosigkeit bekannt war. Mit ein paar knappen Sätzen hatte er all ihre hoffnungsvollen Was-sein-könnte zu einem einzigen nichts zerdrückt.
Ihre Zukunft erstreckte sich vor ihr wie eine dunkle Straße: alle Hoffnungen hatten sich verfinstert.
Er hatte sie genarrt. Ich fluche nicht. Ich trinke nicht. Und ich tue Frauen nichts an. Ich tue nichts von all diesen Dingen, weil mein Vater jedes einzelne getan hat.
Serena zerknüllte die Zeitung.
Er war gut – sehr gut. Und sie war eine verdammte Närrin, die dicht davor gestanden hatte, ihm zu glauben. Aber er hatte nur angeboten, ihr zu helfen, nicht weil er sich für ihre Angelegenheiten interessierte oder weil ihm an ihrem Wohlergehen gelegen war. Es war nur, weil es einfacher war, sie zu kaufen, als sie zu ruinieren.
Schwarze Wolken dräuten an ihrem Horizont.
Serena legte sich eine Hand auf den Bauch. Verzweiflung konnte nicht gut für das Kind sein. Wenn sie zuließ, dass sie sie einhüllte, musste sie befürchten, ihr Innerstes mit einem bitteren, hungrigen Unmöglich auszufüllen. Sie konnte es kaum aushalten; wie sollte es da so ein kleines winziges Leben verkraften?
Nein. Ihr Kind würde keine Albträume kennen, keine Zweifel, keine Ängste.
Wenn man auf einen Baum kletterte, war es dumm, nach unten zu sehen. Wenn man es trotzdem tat, riskierte man Schwindel. Daher schaute Serena empor, über die aufziehende Dunkelheit der Nacht hinweg. Sie konzentrierte sich auf den warmen orangefarbenen Schein der Lampe und auf die schimmernden Sterne dahinter. Sie blickte nach oben, weigerte sich, auch nur daran zu denken, hinunterzufallen.
Kapitel drei
V IELLEICHT WURDE ER ALLMÄHLICH WEICH, aber Hugo begann mit dem simpelsten Mittel. Er versuchte Miss Barton loszuwerden, indem er ihren Platz besetzte. Es kostete ihn ganze sechs Schilling, um vier Pensionäre anzuheuern, dass sie sich auf ihre Stelle auf der Bank setzten. Am nächsten Morgen ganz früh beobachtete er von seinem Bürofenster aus, wie sie eintraf. Ihr Schritt stockte, als sie sah, dass die Bank besetzt war, und sie legte sich eine Hand ins Kreuz. Das war die einzige Geste, mit der sie Unbehagen verriet. Dann lächelte sie, schüttelte den Kopf und begann müßig über den Platz zu schlendern, als habe sie ohnehin vorgehabt, einen Spaziergang zu unternehmen. Sie blickte die alten Männer an, während sie ging. Sie machte eine weitere langsame Runde, dann noch eine. Nach einer halben Stunde schien sie zu begreifen, dass sie nicht gehen würden.
Sie reckte das Kinn. Sie schaute zu Clermonts Haus, als könnte sie Hugo drinnen sehen. Als forderte sie ihn heraus, drastischere Maßnahmen zu ergreifen. Sie stand
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