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Die Gouvernante und ihr geliebtes Ungeheuer („Geliebte Widersacher“) (German Edition)

Die Gouvernante und ihr geliebtes Ungeheuer („Geliebte Widersacher“) (German Edition)

Titel: Die Gouvernante und ihr geliebtes Ungeheuer („Geliebte Widersacher“) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Courtney Milan
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den ganzen Tag da, den Kopf hoch erhoben, und wenn sie sich gelegentlich die Hüften rieb, wenn sie dachte, niemand würde es bemerken, und ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen verlagerte, diente das nur dazu, dass Hugo sich noch schlechter fühlte wegen dessen, was er hier tat.
    Am zweiten Tag traf sie eine Stunde eher ein, als die Straßenlampen noch brannten. Sie ging gemäßigten Schrittes zur Bank – und blieb jäh stehen.
    Hugo hatte natürlich ihre frühe Ankunft vorausgeahnt und den Pensionären sieben Schilling für die zusätzliche Stunde geboten. Wieder blieb sie neun Stunden lang stehen – verschwand nur kurz, wenn sie, nahm er wenigstens an, musste. Wieder ertappte er sich dabei, wie er ihre Hartnäckigkeit bewunderte.
    Am dritten Tag regnete es. Der Regen ergoss sich einem Sturzbach gleich vom Himmel, und die Pensionäre standen ihm nicht zur Verfügung. Dennoch war es Hugo gerade noch rechtzeitig gelungen, ein paar Arbeiter in Regenkleidung aufzutreiben. Sie hatten eben erst Platz genommen, als Miss Barton eintraf. Sie war in einen Mantel aus dunkler Wolle gehüllt, der ihr Kleid verdeckte. Er konnte weder ihr Haar sehen noch ihre Hände.
    Nach einer Stunde war ihr Regenschirm derart durchweicht, dass er nicht länger das Wasser aufhalten konnte; sie lehnte ihn gegen einen Baum. Aber sie ließ sich von der Nässe nicht beirren. Sie blickte kaum zur Bank. Sie stellte sich einfach unter einen Baum, die Lippen grimmig zusammengepresst.
    Er beobachtete sie den ganzen Morgen lang. Am Mittag unterbrach er seine Arbeit, um eine Schüssel Suppe zu sich zu nehmen. Sie war immer noch da; er aß und stand am Fenster, schaute zu, wie sie die Arme um sich schlang und sie sich heftig rieb, versuchte warm zu bleiben.
    Sie würde sich noch den Tod holen. Der Wind wehte welke Blätter umher, es musste bitter kalt sein. Aus Mittag wurde ein Uhr und dann zwei Uhr. Sie war auch noch nicht fort, als die Standuhr in der Eingangshalle unten drei schlug, obwohl ihr Mantel inzwischen dunkel vor Nässe war. Sie kauerte sich mehr und mehr in sich zusammen.
    Jeder andere wäre beim ersten Anzeichen von schlechtem Wetter heimgegangen. Er wusste nicht sicher, ob er ihr zu ihrer Hartnäckigkeit gratulieren oder sich aufregen sollte, weil sie alles unnötig kompliziert machte. Unten auf dem Platz fuhr sie sich mit einer Hand übers Gesicht, um das Regenwasser wegzuwischen.
    Das hier war ganz offensichtlich etwas, was Hugo in Ordnung bringen musste, und wenn auch aus keinem anderen Grund, als dass er nicht ihr Leben auf dem Gewissen haben wollte.

    B EVOR S ERENAS M ANTEL DURCHWEICHT WAR, war es nur halb so schlimm gewesen. Ihre Kleider waren feucht gewesen und ihr selbst kalt. Aber dass sie stehen musste, war insgeheim ein Segen gewesen, denn so war sie in der Lage gewesen, sich zu wärmen, indem sie auf und ab lief.
    Als die Uhr jedoch drei schlug, konnte sie ihre Füße kaum noch spüren. Ihre Hände waren in ihren Handschuhen gefroren.
    Geh heim. Es ist nur ein Nachmittag.
    Dieser Impuls war nicht laut, aber heimtückisch. Sie hatte es zu oft gehört. Sei ruhig, dann kümmert man sich um dich. Schrei heute Nacht nicht; es ist bald genug vorüber. Aber diese Stimme log. Diejenigen, die tatenlos blieben, verloren am Ende. Es gab nichts, das so kalt war wie Bedauern.
    Wenn sie jetzt wegging, würde Mr. Marshall wissen, dass er sie vertreiben konnte. Es würde ihn nur anstacheln, sich mehr Mühe zu geben.
    Und daher rieb sie ihre Hände aneinander und ging weiter auf und ab.
    Niemand war hier draußen unterwegs, es sei denn, er musste. Und das war der Grund, weshalb sie sich, als eine Gestalt um die Ecke kam, umdrehte und hinschaute – und erstarrte. Es war Mr. Marshall – das Ungeheuer von Clermont, rief sie sich ins Gedächtnis – und er sah reichlich grimmig aus. Er hatte ein Bündel unter dem Arm. Er ging mit gesenktem Kopf. Als er auf ihrer Höhe war, blieb er stehen und blickte die Straße entlang, dann überquerte er sie rasch.
    Er ging einfach an ihr vorbei, sagte kein Wort zu ihr, marschierte zu den Männern, die auf der Bank saßen. Sie hatte sich angestrengt, das Ungeheuer von Clermont in ihm zu sehen, als er ihr vor drei Tagen gestanden hatte, wer er in Wahrheit war. Aber in diesem Moment konnte sie es erkennen. Seine Gewöhnlichkeit war eine Illusion, ein Umhang der Normalität, den er höflichkeitshalber anlegte. Jetzt jedoch strahlte er eine stumme Bedrohung aus – eine, die derart greifbar war, dass sie

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