Die Grabgewoelbe von Yoh-Vombis - Gesammelte Erzaehlungen Band 2
an, wenn sie auch zu keinem Zeitpunkt den qualvollen und ungebärdigen Krampfanfällen vom Vortag glichen. Die Muskelkonvulsionen erfolgten rein mechanisch, ähnlich einer galvanischen Stimulation – und Thone erkannte, dass sie synchron mit dem trägen und ekelerregenden Wogen der Ranken auftraten. Die Wirkung, die das auf den Betrachter ausübte, war hinterhältig hypnotisch und einschläfernd. Einmal ertappte Thone sich dabei, wie er mit wippendem Fuß in den abscheulichen Takt einfiel.
Er versuchte sich zusammenzureißen und suchte verzweifelt nach etwas, woran sein gesunder Verstand sich festklammern konnte. Unausweichlich meldeten sich die charakteristischen Anzeichen der Krankheit in ihm zurück: Fieber, Übelkeit und ein Gefühl der Abscheu, das schlimmer war als die Angst vor dem Tod. Doch ehe der neuerliche Fieberanfall ihn außer Gefecht setzen konnte, zog er seinen geladenen Revolver aus dem Holster und jagte sechs Kugeln in Falmers zuckenden Körper. Er wusste, dass er nicht danebengeschossen hatte. Doch nach dem letzten Treffer stöhnte und zuckte Falmer noch immer im Gleichklang mit dem bösen Wiegen der Pflanze. Thone, der langsam ins Delirium abdriftete, vernahm unverändert das unentwegte, mechanisch-schmerzliche Gestöhn.
Zeit war kein Begriff in den Gefilden brodelnder Unwirklichkeit und grenzenlosen Vergessens, durch die er dahintrieb. Als er wieder zu sich kam, wusste er nicht, ob lediglich Stunden oder bereits Wochen vergangen waren. Doch dafür bemerkte er augenblicklich, dass sich das Boot nicht mehr bewegte. Und als er sich benommen aufrichtete, sah er, dass das Gefährt von seichtem Gewässer und Schlick umgeben war und der Bug am Strand einer kleinen, von Urwald bewachsenen Insel in der Mitte des Flusses festsaß. Fauliger Schlammgeruch umgab ihn wie das Miasma eines abgestanden Pfuhls und das laute Summen von Insekten drang an seine Ohren.
Es musste später Vormittag oder früh am Nachmittag sein, denn die Sonne stand hoch am leblosen Himmel. Lianen baumelten von den Bäumen der Insel herunter wie entrollte Schlangenleiber. Epiphytische Orchideen, gezeichnet mit reptilienartigen Tupfen, neigten sich von hängenden Ästen grotesk zu Thone hin. Riesenhafte Schmetterlinge flatterten auf bunt schillernden Flügeln vorbei.
Thone richtete sich auf, noch immer ganz benommen und schwindelig – und sah sich erneut dem Grauen ausgesetzt, das von seinem Gefährten Besitz ergriffen hatte. Das Ding war unglaublich, ungeheuerlich stark gewachsen: Die dreifach verzweigten Stängel, die über Falmers Haupt aufragten, hatten gigantische Ausmaße angenommen und massenhaft faserige Fühler ausgestreckt, die unruhig in der Luft umherschnellten, als suchten sie nach Halt – oder nach neuer Nahrung. Am höchsten Auswuchs, der Falmers Scheitel entsprang und die übrigen Triebe deutlich überragte, hatte sich eine gewaltige und wundersame Blüte geöffnet – eine fleischige Scheibe, groß wie das Gesicht eines Menschen und fahl wie Lepra.
Falmers Gesichtszüge waren jetzt so weit eingesunken, dass die Knochenlinien deutlich hervortraten wie unter straff gespanntem Papier. Er war bloß noch ein Totenschädel unter einer Maske aus Menschenhaut. Auch der Körper wirkte geschrumpft und verschrumpelt, sodass kaum mehr übrig geblieben schien als ein bekleidetes Gerippe. Falmer lag jetzt beinahe ruhig, erfüllt nur von dem Beben, das die Stängel auf ihn übertrugen. Die grässliche Pflanze hatte ihn restlos leer gesaugt, seine lebenswichtigen Organe und sein Fleisch gefressen.
Alles in Thone drängte ihn, sich wie rasend vorwärtszustürzen und das abscheuliche Gewächs mit bloßen Händen zu packen. Doch eine sonderbare Lähmung hielt ihn davon ab. Die Pflanze war wie ein lebendiges, zu Empfindungen fähiges Ding – ein Ding, das ihn beobachtete und mit einem unreinen, aber übermächtigen Willen bezwang. Die gewaltige Blüte nahm, während er sie gebannt anstarrte, eine dunkle, unnatürliche Ähnlichkeit mit einem Menschenantlitz an. Auf unbestimmte Weise glich dieses Antlitz Falmers Gesicht. Jedoch waren die Züge ganz verrenkt und verzerrt, durchmischt von der teuflischen Miene etwas gänzlich Bösem und Nicht-Menschlichem. Thone war unfähig, auch nur ein Glied zu rühren – konnte den Blick nicht mehr von dieser gotteslästerlichen, unvorstellbaren Abnormität abwenden.
Wie durch ein Wunder war das Fieber aus seinem Körper gewichen und kehrte auch nicht mehr zurück. Stattdessen versank Thone in
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