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Die Grabgewoelbe von Yoh-Vombis - Gesammelte Erzaehlungen Band 2

Die Grabgewoelbe von Yoh-Vombis - Gesammelte Erzaehlungen Band 2

Titel: Die Grabgewoelbe von Yoh-Vombis - Gesammelte Erzaehlungen Band 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clark Ashton Smith
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wie die Lampen. Die Vorderseite war auf Hochglanz poliert und die reflektierende Fläche nahm es in der Deutlichkeit der Spiegelung sehr wohl mit der von Glas auf; doch die Rückseite sowie die Griffe, auf denen sich, Laokoon gleich, eingeschnitzte Gestalten in namenloser starrer Qual wanden, waren schwarz von der Patina verstrichener Jahrhunderte. Es hätte sich sehr wohl um den besagten Spiegel handeln können, den Perseus einst verwendet hatte.
    Der alte Mann drückte ihn mir in die Hand. »Kommen Sie«, sagte er und wandte sich zur offenen Tür, hinter der ich die vielen Statuen gesehen hatte.
    »Halten Sie den Blick auf den Spiegel gerichtet«, ergänzte er, »und sehen Sie nirgendwo anders hin. Sobald Sie jene Tür durchschreiten, befinden Sie sich in tödlicher Gefahr.«
    Er schritt mir voran, sah dabei vom Eingang fort, hinweg über seine Schulter. Seine Augen brannten in einer boshaften Glut. Ich heftete den Blick auf den Spiegel und folgte ihm.
    Das Zimmer war größer, als ich erwartet hatte. Es wurde von zahlreichen Lampen ausgeleuchtet, die von silbernen Ketten herabhingen. Als ich über die Schwelle trat, dachte ich im ersten Moment, dass die steinernen Statuen den Raum zur Gänze ausfüllten. Einige standen in schmerzlich aufrechter Haltung da, andere lagen in ewiger qualvoll verdrehter Haltung auf dem Boden. Dann neigte ich den Spiegel ein wenig und sah, dass es einen begehbaren Zwischenraum gab, sowie am anderen Ende des Gemachs eine größere freie Stelle um eine Art Altar herum. Den gesamten Altar vermochte ich nicht zu erkennen, weil sich der alte Mann gerade in meinem gespiegelten Sichtbereich aufhielt. Doch die Gestalten um mich herum, auf die ich nunmehr ohne Vermittlung des Spiegels verstohlene Blicke warf, fesselten mein Interesse im Augenblick mehr als nur flüchtig.
    Sie waren samt und sonders lebensgroß und boten ein einzigartiges Wirrwarr aus historischen Zeitabschnitten dar. Doch schienen sie alle von der gleichen Künstlerhand zu stammen, ging man von der Gleichartigkeit des dunklen Materials – einem schwarzen Marmor – sowie dem ihnen gemeinsamen Realismus und der Lebensechtheit ihrer Ausführung aus. Es gab Knaben und bärtige Männer in den Chitons des alten Griechenlands, es gab Mönche im Habitus des Mittelalters und Ritter in voller Rüstung, da waren Soldaten und Gelehrte und Hofdamen der Renaissance und der Restauration, es gab Menschen aus dem 18., dem 19. und dem 20. Jahrhundert. Jeder Muskel, jede Haltung kündete von unglaublichem Leid und unaussprechlicher Angst. Und derweil ich sie musterte, bildete sich mehr und mehr eine scheußliche und grausige Schlussfolgerung in meinem Verstand heran.
    Neben mir grinste mir der alte Mann zu und starrte mich mit dämonischer Bosheit an.
    »Sie bewundern meine Statuensammlung«, sagte er. »Und wie ich sehe, sind Sie auch von ihrer Wahrheitstreue beeindruckt. Doch vielleicht haben Sie schon erraten, dass die Statuen mit ihren Modellen identisch sind. Diese Menschen sind jene Unseligen, die sich nicht damit zufriedengaben, die Medusa nur im Spiegel anzuschauen. Ich warnte sie, so wie ich auch Sie gewarnt habe … doch sie konnten der Versuchung nicht widerstehen.«
    Ich brachte kein Wort heraus. Meine Gedanken schwirrten in Schrecken, Bestürzung, Verblüffung. Hatte der alte Mann mir vielleicht doch die Wahrheit gesagt, besaß er tatsächlich einen so unmöglichen und im Reich der Legenden verhafteten Gegenstand wie das Gorgonenhaupt? Die Züge, die Haltungen dieser Statuen waren zu lebensecht, zu bildgetreu. Aus ihnen sprach eine todbringende Angst und in den Gesichtern spiegelten sich vernichtende und dennoch unaufhörliche Qualen. Kein menschlicher Bildhauer konnte sie erschaffen, konnte die Gesichtszüge und die Gewandungen mit einer derart vollendeten und grauenhaften Authentizität angefertigt haben.
    »Und nun«, sprach mein Gastgeber, »nachdem Sie jene gesehen haben, die von Medusas Schönheit überwältigt wurden – nun ist es an der Zeit, dass Sie die Gorgone selbst erblicken.«
    Er trat beiseite, wobei er mich unentwegt musterte; und im metallenen Spiegel sah ich nunmehr zur Gänze den sonderbaren Altar, den sein Körper bislang zum Teil vor meinen Blicken verborgen hatte. Er war mit schwarzem Trauerstoff verhüllt und zu beiden Seiten brannten die hohen reglosen Flammen der Lampen. In der Mitte stand fürwahr auf einer silbernen oder güldenen Patene das Haupt selbst, in dessen wirren Locken sich Schlangen wanden und

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