Die Grabgewoelbe von Yoh-Vombis - Gesammelte Erzaehlungen Band 2
des kalten Herbstregens und der finsteren Sturmnacht fortzusetzen. Doch fiel mir kein ausreichend stichhaltiger und glaubhafter Vorwand ein. Offenkundig blieb mir keine andere Wahl, als zu bleiben.
Unser Abendessen wurde in einem düsteren, wenngleich prachtvoll ausgestatteten Zimmer aufgetragen, und zwar von demselben alten Mann, den Sir John als Harper bezeichnet hatte. Das Mahl war schlicht, aber sättigend und schmackhaft zubereitet. Die Bedienung erfolgte mustergültig. Allmählich mutmaßte ich, dass Harper der einzige Hausangestellte war – eine Mischung aus Kammerdiener, Butler, Haushälter und Koch.
Trotz meines Hungers und der Anstrengungen, die mein Gastgeber zu meinem Wohlbefinden unternahm, war die Mahlzeit eine feierlich-ernste, ja fast schon triste Angelegenheit. Mir ging die Geschichte nicht aus dem Sinn, die mein Vater mir erzählt hatte. Noch weniger gelang es mir, die versperrte Tür und das unheilvolle Geheul aus meinen Gedanken zu verbannen. Worum auch immer es sich handelte: Die Missgeburt lebte. Ich verspürte eine Mischung aus Hochachtung, Mitgefühl und Grauen, als ich mir das hagere, edelmütige Antlitz von Sir John Tremoth betrachtete und über die lebenslange Hölle nachsann, in die er verdammt worden war. Und über die offenkundige Seelenstärke, mit der er das unvorstellbare Martyrium ertrug, das diese Hölle ihm bereitete.
Eine Flasche erlesenen Sherrys wurde auf den Tisch gestellt. Bei dieser saßen wir ein oder zwei Stunden lang zusammen. Sir John sprach recht ausführlich über meinen Vater, von dessen Tod er noch keine Kenntnis gehabt hatte. Und mit dem unaufdringlichen Geschick des erfahrenen Weltmanns horchte er mich über meine eigenen Angelegenheiten aus. Über sich selbst erzählte er wenig, kein noch so beiläufiges Wort verlor er über die Familientragödie, die ich umrissen habe.
Da ich dem Alkohol nur mäßig zuspreche und mein Glas nicht allzu häufig leerte, wurde der größte Teil des schweren Weines von meinem Gastgeber genossen. Gegen Ende schien dies eine eigentümliche Neigung zur Vertraulichkeit in ihm hervorzukehren. Er kam erstmals auf die schlechte Gesundheit zu sprechen, die überdeutlich aus seinem Aussehen sprach. Ich erfuhr, dass er unter jener höchst schmerzhaften Herzerkrankung namens angina pectoris litt und sich erst kürzlich von einem ungewohnt heftigen Anfall erholt hatte.
»Der nächste wird mich töten«, sagte er. »Und er kann jederzeit stattfinden – vielleicht schon in dieser Nacht.« Sir John traf diese Feststellung ganz beiläufig, als äußere er eine alltägliche Trivialität oder erlaube sich eine Voraussage über das Wetter. Dann, nach einer kurzen Pause, fuhr er in eindringlicherem und bedeutsamerem Tonfall fort:
»Vielleicht halten Sie mich für verschroben, doch hege ich ein eingefleischtes Vorurteil gegen jede Erd- oder Gruftbestattung. Ich möchte, dass meine sterblichen Reste vollständig verbrannt werden, und habe hierfür genaueste Anweisungen hinterlegt. Harper wird darauf achten, dass man sie wortgetreu befolgt. Das Feuer ist das sauberste und reinste aller Elemente und erspart einem die ganzen ekelhaften Zersetzungsprozesse zwischen dem Todeseintritt und der letztendlichen Staubwerdung. Ich kann die Vorstellung einer modrigen, wurmverseuchten Gruft einfach nicht ertragen.«
Er breitete sich noch eine Zeit lang weiter über dieses Sujet aus, und zwar auf eine ausführliche und eindringliche Art und Weise, die bewies, dass es sein Denken schon länger beherrschte, wenn er nicht sogar regelrecht davon besessen war. Es schien eine morbide Faszination auf ihn auszuüben … Und während er sprach, trat ein schmerzliches Leuchten in seine eingesunkenen, gequält blickenden Augen und seine Stimme nahm einen Beiklang krampfhaft unterdrückter Hysterie an. Ich musste an die Beisetzung Lady Agathas denken, an ihre tragische Wiedererweckung – und an das finstere, wahnwitzige Grauen der Grabgewölbe, das einen unerklärlichen und vage verstörenden Teil ihrer Geschichte ausgemacht hatte. Sir Johns Abneigung gegen Bestattungen ließ sich unschwer begreifen. Und doch erahnte ich nicht im Entferntesten das volle Ausmaß des Schreckens und des Grauens, auf denen sein Abscheu beruhte.
Harper hatte sich entfernt, nachdem er den Sherry gebracht hatte. Ich vermutete, dass er angewiesen worden war, mein Zimmer herzurichten. Sir John und ich hatten inzwischen unsere letzten Gläser geleert und der Redefluss meines Gastgebers war
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