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Die Grabgewoelbe von Yoh-Vombis - Gesammelte Erzaehlungen Band 2

Die Grabgewoelbe von Yoh-Vombis - Gesammelte Erzaehlungen Band 2

Titel: Die Grabgewoelbe von Yoh-Vombis - Gesammelte Erzaehlungen Band 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clark Ashton Smith
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nichtmenschliches Gesicht geplagt, das sie in der Düsternis erblickt hatte, nachdem sie aus ihrem überlangen, todesgleichen Schlaf erwacht war. Der Anblick ebendieses Gesichtes, das sich über sie beugte, während sie in dem offenen Sarg lag, hatte ihr jenen gellenden Schrei entrissen.
    Das Ding war verschwunden, ehe Sir John hinzukam, und hastig in die tiefer gelegenen Gewölbe entflohen. Von seiner körperlichen Erscheinung hatte Lady Agatha nur einen unvollkommenen Eindruck bewahrt. Doch glaubte sie, es wäre groß und weiß und wie ein Tier auf allen vieren gerannt, wenngleich seine Gliedmaßen halb menschlich waren.
    Natürlich hielt man ihre Geschichte für einen Traum oder eine Ausgeburt ihres Fieberwahns, bedingt durch den furchtbaren Schock ihres Erlebnisses, der jegliche Erinnerung an die real erlittenen Schrecken getilgt hatte. Doch schien die Erinnerung an das grausige Gesicht und die grässliche Gestalt dauerhaft Besitz von ihr zu ergreifen, verbunden mit dem Gefühl einer irrsinnigen Furcht. Sie genas nicht von ihrer Erkrankung, sondern lebte fortan in einem Zustand geistiger und körperlicher Zerrüttung. Neun Monate später starb sie nach der Geburt ihres ersten Kindes.
    Ihr Tod kam einer Gnade gleich. Denn das Kind, so schien es, war eine jener schrecklichen Missgeburten, die manchmal in menschlichen Familien auftreten. Worin genau die Abnormität des Kindes bestand, blieb unklar. Aber angeblich wurden von den Ärzten, Krankenpflegerinnen und Bediensteten, die es zu Gesicht bekamen, erschreckende und widersprüchliche Gerüchte in Umlauf gesetzt. Einige der Dienstboten hatten Tremoth Hall verlassen und ihre Rückkehr verweigert, nachdem sie einen einzigen flüchtigen Blick auf den missgebildeten Säugling erhascht hatten.
    Nach Lady Agathas Tod hatte sich Sir John aus der Gesellschaft zurückgezogen. Wenig bis nichts wurde bekannt über seinen Zeitvertreib oder über das Schicksal des grauenvollen Abkömmlings. Doch hieß es, das Kind werde in einem abgesperrten Raum mit Eisengittern an den Fenstern verwahrt, den niemand außer Sir John jemals betrat. Die Tragödie hatte sein ganzes Leben zerstört und ihn zum Einsiedler werden lassen, der sein Dasein lediglich in Gesellschaft von einem oder zwei treuen Dienern fristete und seinen Besitz durch Vernachlässigung in trauriger Weise verkommen ließ.
    Ohne Zweifel, so sagte ich mir, war der alte Mann, der mich eingelassen hatte, einer der verbliebenen Dienstboten. Mir ging noch immer die grauenvolle Legende durch den Kopf. Und ich versuchte nach wie vor, mir bestimmte, fast schon vergessene Einzelheiten daraus ins Gedächtnis zu rufen, als ich das Geräusch von Schritten vernahm, die nach ihrer Schwerfälligkeit und Kraftlosigkeit zu urteilen von dem zurückkehrenden Hausdiener stammten.
    Doch ich irrte mich – denn die Person, die kurz darauf eintrat, war niemand anders als Sir John Tremoth selbst. Die hochgewachsene, leicht gebeugte Gestalt, strahlte eine Würde aus, die über die zweifache Verheerung durch menschlichen Kummer und durch menschliche Krankheit zu obsiegen schien. Das zerfurchte Antlitz wirkte, als hätten Rinnsale einer ätzenden Säure sich hineingefressen. Aus irgendeinem Grund hatte ich einen alten Mann erwartet (obwohl ich mir sein Alter leicht hätte ausrechnen können). Doch Sir John war kaum über die mittleren Jahre hinaus. Seine leichenhafte Blässe und der gebrechliche, taprige Gang entsprachen denen eines Mannes, der mit einem schweren Leiden geschlagen ist.
    Die Art, in der er das Wort an mich richtete, war untadelig höflich und sogar zuvorkommend. Doch seine Stimme klang nach jemandem, für den der Umgang und die gewöhnlichen Handlungen des menschlichen Zusammenlebens schon seit Langem unwesentlich und belanglos schienen.
    »Harper sagt mir, dass Sie der Sohn meines alten Schulfreundes Arthur Chaldane sind«, richtete er das Wort an mich. »Ich heiße Sie willkommen, so bescheiden die Gastlichkeit, die ich zu bieten habe, auch sein mag. Ich habe seit vielen Jahren keine Besucher mehr empfangen und fürchte, dass Sie mein Haus recht langweilig und trostlos finden und mich für einen wenig zuvorkommenden Gastgeber halten werden. Trotzdem bitte ich Sie zu bleiben, und sei es nur für diese Nacht. Harper ist dabei, ein Abendessen für uns zu bereiten.«
    »Sie sind zu freundlich«, erwiderte ich. »Doch fürchte ich, ungelegen zu kommen. Wenn –«
    »Davon kann keine Rede sein«, widersprach Sir John entschieden. »Sie

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