Die Grabräuber
Erde getätigt worden war.« Er drehte sich wieder und blickte mich an. »Wenn ich Ihnen das erzähle… nein, das glauben Sie mir nicht, weil es einfach zu phantastisch ist.«
»Versuchen Sie es dennoch.«
»Gut, wie Sie wollen.« Er begann zu lachen, obwohl kein Grund vorhanden war. Schlagartig wurde er wieder ernst. »Können Sie sich vorstellen, dass die Chinesen etwas besitzen, das ungemein wertvoll ist?«
»Das kann ich gut. Schließlich gibt es genügend Kunstschätze in China.«
»Als Kunstschatz möchte ich das nicht bezeichnen Es ist weder eine Vase noch eine Schale oder irgendein religiöser Schrein, sondern etwas anderes. Ein Soldat!«
»Was haben Sie da gesagt?«
Er lachte wieder. »Ja, jetzt schauen Sie. Wan hat etwas geschafft, das eigentlich unmöglich ist. Er hat einen Soldaten nach England geschafft. Das war alles.«
Ich hielt mich mit meiner Antwort zurück und ließ mir zunächst einmal die Erklärung des Kaufmanns durch den Kopf gehen. Einen Soldaten hatte dieser Tote nach England gebracht. War das ein Verbrechen? Im Prinzip nicht, nach chinesischem Gesetz allerdings, denn auf gewisse Güter oder Kunstgegenstände stand ein absolutes Exportverbot. Und plötzlich hatte ich den Faden. Verdammt, natürlich. Ein Soldat. Und was für einer. Da gab es doch…
Wenn diese Vermutung stimmte, die ich mir da zurechtgelegt hatte, war von diesem Wan ein Frevel begangen worden, den niemand mehr zurechtbiegen konnte.
Ich kramte ein wenig in meinen Geschichtskenntnissen und kam zu dem Entschluss, dass es in China vor langer Zeit einen Kaiser gegeben hatte, der in einem gewaltigen Grab bestattet worden war. Und auf seiner langen Reise in das Totenreich hatte er sich schützen lassen. Von Soldaten!
Schon vor seinem Tod waren Tausende dieser Soldaten in Originalgröße aus Lehm und Stein modelliert worden, und diese Soldaten hatten den Kaiser auf seinem Weg in den Tod begleitet und ihm gleichzeitig Schutz gegeben. So die Geschichte.
Und das war eine Tatsache.
Es lag noch nicht lange zurück, da hatte man Ausgrabungen durchgeführt und diese Soldaten gefunden. Mir war nicht bekannt, ob man in China das Wort heilig kannte, aber so etwas waren diese Figuren für die Millionen von Chinesen. Und nun befand sich einer dieser Soldaten hier in London. Zudem lebend…
Auf magische Art und Weise erweckt.
Bisher hatte ich noch keinen Schwindel verspürt, nun allerdings war es soweit. Unwillkürlich trat ich einen Schritt zurück.
»Was haben Sie, Sir?« fragte mich der Polizist, der uns auch gefahren hatte.
»Er scheint allmählich die gesamte Tragweite der Wahrheit zu erkennen«, erwiderte David Stern.
Ich erholte mich wieder, schaute ihn an und nickte »Ja, die Wahrheit erkenne ich. Es handelt sich also um eine Soldatenfigur aus den alten Kaisergräbern.«
»Genau.«
»Und die hat Wan nach London geschafft?«
»Sehr richtig.«
»Wie hat er das geschafft?«
David Stern hob die Schultern. »Das ist sein Geheimnis. Es ist überhaupt alles sehr rätselhaft, aber ich will ehrlich zugeben, dass er auch in meinem Auftrag gehandelt hat.«
»Moment. Sie haben ihm gesagt, dass Sie diese Figur gern haben wollten?«
»Ja.«
»Für wen?«
David Stern lachte mich an. »Glauben Sie nur nicht, Sinclair, dass ich Ihnen das sage. Es gibt einen Kunden in Übersee, der ein Vermögen dafür ausgibt. Aber wie mir scheint, ist das Geschäft nun geplatzt. Außer Spesen nichts gewesen.«
»Sie vergessen den Mord«, sagte ich.
»Das ist allerdings rätselhaft. Dabei kenne ich den Täter. Es war diese Steinfigur. Sie lebte, Oberinspektor. Eine Figur, die unermesslich alt ist, erwacht zu einem schaurigen Leben. Nicht nur das, es gelingt ihr sogar, einen Menschen mit der Waffe zu töten, die man ihr mit ins Grab gegeben hat. Verstehen Sie das?«
»Noch nicht.«
»Sie werden es auch nicht verstehen, Sinclair. Keiner begreift das, aber Wan hat nicht auf mich gehört.«
»Wie das?«
»Ich hatte das Geschäft nicht machen wollen. Es war mir zu heiß und zu gefährlich.«
»Trotz der finanziellen Seite?«
»Klar. Aber es gibt Dinge im Leben, die muss man eben zurückstellen. Hinterher dachte ich anders, jetzt ist nichts mehr zu ändern Die Statue hat England erreicht und sich auf verdammt schaurige Art und Weise eingeführt.«
»Vor wem hatten Sie die meiste Angst, Mr. Stern? Oder wussten Sie, dass die Statue leben würde?«
»Nein. Meine Furcht galt dem chinesischen Geheimdienst. Die haben überall ihre Finger drin. Die
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