Die Grabstein-Clique
Aufgabe stand an erster Stelle, und deshalb kam für sie nur eine Möglichkeit in Betracht. Das Reisen per Autostopp.
Sie war natürlich sehr vorsichtig gewesen. Es stand auch fest, daß die Polizei sie als die Mörderin identifizieren und daß eine entsprechende Fahndung nach ihr anlaufen würde.
Das hieß eine lückenlose Überwachung der Flughäfen und Bahnhöfe in der Londoner Umgebung.
Da fiel eine Nonne schon auf.
Auch am Rand der Straße, aber sie hoffte stark, daß die Menschen ein Einsehen hatten und die fromme Frau einsteigen ließen. Zudem gab sie sich verschüchtert. Sie hob keine Hand, um zu winken, sondern stand mit gesenktem Kopf auf der Stelle, wobei sie nur hin und wieder hochschaute, wenn sie einen Wagen hörte.
Aber der äußere Eindruck täuschte. Clara Montero war alles andere als schüchtern. Die Bluttat hatte sie auf eine bestimmte Art und Weise verändert.
Das Leben, das einmal Gott geweiht worden war, lag hinter ihr. Es kam ihr vor, als hätte es nie stattgefunden, und sie schalt sich eine Närrin, überhaupt all die Jahre hinter dicken Klostermauern verbracht zu haben. Das war nun vorbei.
Eine andere Macht hatte von ihr Besitz ergriffen. Sie war genau das Gegenteil, und sie freute sich darauf, denjenigen kennenzulernen, der sie von nun an leitete.
Er hatte viele Namen, aber ihr war nur einer im Gedächtnis haften geblieben. Der Teufel!
Nur er zählte, er und seine Taten, und etwas hatte sie schon nach dem Mord getan.
Sie hatte ihr Kreuz voller Wut weggeworfen, auch wenn es ein altes Erbstück ihrer Großmutter gewesen war, denn von nun an waren ganz andere Dinge wichtig.
Die Straße, an der sie stand, führte nach Westen. Es war kein Motorway, da hätte sie sich an einer Raststätte aufhalten müssen, aber sie wollte mehr über Land fahren, wo man nicht so stark kontrollierte. Der Weg sollte sie über Oxford führen, vorbei an Cheltenham, bis hinein nach Wales, wo ihr Ziel lag.
Clara wußte nicht genau, wo sie es finden konnte. Aber ihr großer Gönner würde ihr schon den richtigen Weg weisen, denn auf ihn konnte und wollte sie sich in Zukunft verlassen.
Ein Trucker hielt an.
Er war noch jung, lächelte der Nonne aus seinem Wagen entgegen, und Clara hatte diesmal nicht vergessen, wer sie einmal gewesen war. Sie lächelte so lieblich und gleichzeitig schüchtern, daß der Fahrer ihr sogar half, in den Wagen zu steigen. »Wohin soll es denn gehen, Schwester?«
»Ich muß nach Wales.«
»Sorry, ich fahre nur bis Oxford.«
»Das würde auch reichen.«
»Dann mal los!«
»Danke«, flüsterte sie und schaffte es sogar, rot zu werden.
Der junge Mann wunderte sich darüber, daß eine Nonne per Autostopp fuhr, sie aber konnte ihn beruhigen und sprach von einer Wette, die sie mit ihren Schwestern abgeschlossen hatte.
»Was, eine Wette?«
»Ja, drei von uns versuchen, so schnell wie möglich das Ziel zu erreichen.«
»Von verschiedenen Stellen aus?«
»So ist es.«
»Mann, das finde ich stark. Muß ich meinen Kollegen erzählen. Autostopp der Nonnen, ist mal was Neues.«
»Auch wir gehen mit der Zeit, junger Freund.«
»Das sehe ich.«
Die beiden unterhielten sich nett, und so verging die Zeit wie im Flug. Obwohl Clara Montero immer wieder an ihren neuen Beschützer dachte, erwähnte sie den Namen nie. Aber er war stets präsent. Ihre Gedanken drehten sich ständig um ihn, und sie hoffte, daß er auch an sie dachte und sie später als eine würdige Dienerin in seinen Kreis einreihte. In Oxford ließ der Fahrer sie aussteigen und wünschte ihr noch viel Glück für die weitere Reise. Er hatte sie bis an den Stadtrand gebracht und war sogar einen kleinen Umweg gefahren.
»Vielleicht komme ich dafür in den Flimmel!« sagte er zum Abschied und fuhr winkend los.
Die Nonne nickte und lächelte. Daß es mehr ein Grinsen war, sah der Fahrer nicht. Das Wort Himmel hatte Clara nicht so gut gefallen. Sie schaute dem Wagen nach und blickte dann gen Himmel. Eine Wolkenbank schob sich näher, es sah nach einem kurzen Schauer aus. Sie überlegte, ob sie sich weiterhin an den Straßenrand stellen oder erst am anderen Morgen weiterfahren sollte.
Es war besser, wenn sie übernachtete. Ein großes Stück der Strecke lag ja bereits hinter ihr.
Da sie leider kein Bargeld bei sich trug, konnte sie sich auch keine andere Kleidung kaufen oder sich ein Hotelzimmer nehmen. So mußte sie improvisieren und hatte Glück, daß sie in der Nähe einen Campingplatz fand, der nur schwach besucht war.
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