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Die Graefin Charny

Die Graefin Charny

Titel: Die Graefin Charny Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandre Dumas
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Nationalversammlung unverletzlich; aber die Diener wurden jeden Augenblick mit Bajonetten bedroht; oft wurde eine Sense über ihren Köpfen geschwungen, oder eine Lanze stach sie in die Seite oder in den Arm.
    Plötzlich sah man mit Erstaunen einen Mann ohne Hut, mit nassen, beschmutzten Kleidern die Menge durchbrechen, den König und die Königin ehrerbietig grüßen, auf den Bock steigen und zwischen den beiden Leibgardisten Platz nehmen. Die Königin schrie vor Schrecken und Freude zugleich laut auf. Sie hatte Charny erkannt.
    Es war ein Schrei des Schreckens, denn er stürzte sich durch seine Kühnheit in die größte Gefahr; ein Schrei der Freude, denn er war den Gefahren, die er auf seinem Wege bestanden, glücklich entronnen; wie ein Blitz durchfuhr sie die Gewißheit, daß sie auf die ersehnte Hilfe des Marquis von Bouillé nicht mehr hoffen durfte: wie wäre sonst Charny allein und in diesem Zustande erschienen?
    Gegen zwei Uhr nachmittags kamen die Gefangenen in Saint-Menehould an.
    Unweit dieser Stadt sah man einen alten Ritter des Ludwigsordens heransprengen. Der alte Kavalier ritt an den Wagen, nahm den Hut ab, begrüßte den König und die Königin, und nannte sie »Majestäten«. Das Volk hatte aber schon ganz andere Ansichten über Gewalt und Majestät; es war entrüstet, daß man seinem Gefangenen einen Titel gab, den es sich selbst anmaßte, und begann zu murren und zu drohen.
    »Herr Chevalier,« sagte der König, »wir sind tief gerührt durch diesen Beweis Ihrer Ergebenheit; aber um Gottes willen! entfernen Sie sich; Sie sind Ihres Lebens hier nicht sicher!«
    »Mein Leben gehört dem Könige,« erwiderte der alte Kavalier, »und der letzte Tag meines Lebens wird der schönste sein, wenn ich für meinen König sterbe!«
    Einige hörten diese Worte und murrten noch lauter.
    »Entfernen Sie sich!« rief ihm der König zu; dann neigte er sich zum Wagen hinaus und sagte zu den Bewaffneten: »Ich bitte euch, Freunde, laßt Herrn von Dampierre durch.«
    Die nächsten, die den König verstanden, wichen zurück; aber etwas weiter vom Wagen entfernt kam der Reiter ins Gedränge; einige Weiber und Kinder schrien; die Männer drohten mit den Fäusten; der hartnäckige alte Mann ließ sich nicht irre machen. Nun verwandelten sich die Drohungen in lautes Geschrei und Gebrüll ... Der Chevalier von Dampierre machte sich endlich Bahn durch die Menschenmasse; er spornte sein Pferd, setzte über den Graben und sprengte querfeldein. Aber zum Abschiede schwenkte der alte Kavalier seinen Hut, sah sich um und rief: »Es lebe der König!« ... Ein Schuß krachte. – Er zog eine Pistole aus den Halftern und schoß zurück. Nun schoß jeder, der ein geladenes Gewehr hatte, auf den Vermessenen. Das von Kugeln durchbohrte Pferd stürzte. Die Menge wälzte sich auf die Stelle zu, wo Mann und Roß gefallen waren, – es waren etwa fünfzig Schritte von dem Wagen des Königs. Dann bildete sich ein wimmelnder, zuckender, schreiender Menschenknäuel; der auf einen Punkt zusammengezogene Tumult dauerte ein paar Minuten –, dann tauchte plötzlich ein greises, blutiges Haupt auf einer Lanzenspitze aus dem Chaos auf.
    Die Königin schrie laut auf vor Entsetzen und sank in den Wagen zurück.
    »Mörder! Kannibalen!« rief Charny in der größten Wut.
    »Schweigen Sie, Herr Graf!« warnte Billot; »ich kann sonst nicht für Sie bürgen.«
    Charny wollte vom Bock herunterspringen; die beiden Leibgardisten hielten ihn zurück; zwanzig Bajonette richteten sich gegen ihn.
    »Freunde!« sagte Billot mit seiner starken, imposanten Stimme, »ich verbiete euch, diesem Manne ein Haar zu krümmen, was er auch tue ... Ich muß seiner Frau für ihn bürgen.«
    »Seiner Frau!« sagte die Königin erschreckend, als ob ein Bajonett sie ins Herz getroffen hätte; – »seiner Frau! ...«
    Es war spät, als der Zug in Châlons eintraf. Der Wagen fuhr in den Hof der Intendantur. Man hatte Kuriere vorausgeschickt, um Wohnungen zu bestellen. Der Hof war mit Nationalgarde und Neugierigen angefüllt. Man mußte die Zuschauer fortweisen, um dem König Platz zu machen. Als Ludwig XVI. den Fuß auf die Treppe setzte, fiel ein Schuß, und die Kugel pfiff an dem Ohr des Königs vorbei.
    »Der Unvorsichtige!« sagte der König, sich ganz ruhig umsehend; »das Gewehr ist ihm losgegangen ... Sie müssen achtgeben, meine Herren, ein Unglück ist bald geschehen!«
    Charny und die beiden Leibgardisten folgten der königlichen Familie ungehindert in den ersten

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