Die Graefin Charny
geflossen, – Blut, das ich mit bitteren Tränen beweine! ... Es soll kein Tropfen mehr vergossen werden; wir wollen umkehren.«
»Meine Herren,« sagte Charny laut und gebieterisch, »wir kehren um! der König will es!«
Er faßte das eine der vorderen Pferde am Zügel und ließ den schweren Reisewagen umwenden.
Am Pariser Tore kehrte die nunmehr überflüssig gewordene Nationalgarde von Châlons um, und der Wagen des Königs wurde von den bewaffneten Bauern und von der aus Vitry und Reims herbeigeholten Nationalgarde eskortiert.
33. Kapitel
Der königliche Wagen setzte, bewacht von jenen beiden finsteren Männern, welche ihn zur Umkehr gezwungen hatten, langsam seinen Weg nach Paris fort, als Charny zwischen Epernay und Dormans einen anderen mit vier Postpferden bespannten Wagen von Paris kommen sah.
Ihm entstiegen drei Männer, von denen zwei den erlauchten Gefangenen ganz unbekannt waren. Der dritte war kaum ausgestiegen, so flüsterte Marie Antoinette dem König ins Ohr:
»Herr de Latour-Maubourg! die rechte Hand Lafayettes ... Das bedeutet nichts Gutes!«
Der älteste der drei Männer öffnete die Wagentür und sagte zu Ludwig XVI.:
»Ich bin Pétion, und dies sind die Herren Barnave und Latour-Maubourg; wir sind von der Nationalversammlung abgeschickt, um Sie zu eskortieren und darauf zu sehen, daß der Zorn des Volkes nicht eigenmächtig Justiz übe ... Rücken Sie doch etwas zusammen und machen Sie uns Platz!«
Die Königin warf dem Deputierten einen verachtenden Blick zu. Diesen Blick vermochte Latour-Maubourg nicht zu ertragen.
»Ihre Majestäten sitzen schon sehr gedrängt«, sagte er; »ich werde mich in den anderen Wagen setzen.«
»Machen Sie, wie Sie wollen«, erwiderte Pétion; »
mein
Platz ist in dem Wagen des Königs und der Königin, und ich steige ein.«
»Entschuldigen Sie, Madame,« sagte er zu der Prinzessin, »als Abgeordneter der Nationalversammlung gehört mir der Ehrenplatz ... Haben Sie daher die Güte aufzustehen.«
»Das ist zu arg!« sagte die Königin.
»Mein Herr!« sagte Ludwig XVI. mit ernst verweisendem Tone.
»Es ist einmal nicht anders ... Stehen Sie auf, Madame, und überlassen Sie mir Ihren Platz.«
Madame Elisabeth stand auf.
Unterdessen hatte sich Latour-Maubourg zu den Damen in den zweiten Wagen gesetzt.
»Nun, kommen Sie nicht, Barnave?« sagte Pétion.
»Wohin soll ich mich setzen?« fragte Barnave etwas verlegen.
»Wollen Sie meinen Platz?« fragte die Königin höhnisch.
»Ich danke Ihnen, Madame«, sagte Barnave beleidigt; »ein Platz auf dem Vordersitz genügt mir.«
Madame Elisabeth zog die kleine Prinzessin an sich, und die Königin nahm den Dauphin auf den Schoß. So wurde auf dem Vordersitz ein Platz leer, und Barnave setzte sich der Königin gegenüber.
»Fort!« sagte Pétion, ohne den König zu fragen.
Jérôme Pétion war ein Mann von zweiunddreißig Jahren, korpulent, blond, von blühender Gesichtsfarbe. Sein Verdienst bestand in der Klarheit und überzeugungsvollen Begeisterung seiner politischen Grundsätze. Er und Camille Desmoulins waren schon Republikaner, als es noch niemand in Frankreich war.
Pierre Joseph Marie Barnave war kaum dreißig Jahre alt. Als Mitglied der Nationalversammlung hatte er sich durch seinen Wetteifer mit Mirabeau, zu einer Zeit, als dessen Beliebtheit schon im Abnehmen war, einen Namen gemacht. – Er gehörte der konstitutionell-royalistischen Partei an. In dem Augenblick, als er der Königin gegenüber Platz nahm, sagte Ludwig XVI.:
»Meine Herren, vor allem erkläre ich Ihnen, daß ich nie die Absicht gehabt habe, Frankreich zu verlassen.«
»Ist das wirklich wahr, Sire?« fragte Barnave; »dieser Ausspruch wird Frankreich retten.«
Barnave wußte, daß einer der drei Männer der Graf von Charny war, und das Gerücht bezeichnete den Grafen als den Geliebten der Königin. – Barnave war eifersüchtig. Die Königin erriet seine Gedanken; sie kannte die verwundbare Stelle ihres Gegners, es handelte sich nur darum, diese Stelle zu treffen.
»Sire,« sagte sie zu dem Könige, »haben Sie gehört, was der Mann sagte, der die Eskorte führt?«
»Bei welchem Anlasse?« fragte der König.
»Als der Graf von Charny an den Wagen kam.«
Barnace war betroffen. Der Königin entging dies nicht.
»Hat er nicht erklärt,« sagte der König, »daß er für das Leben des Grafen bürge?«
»Jawohl, Sire, und er setzte hinzu, daß er der Gräfin dafür bürge ... Die Gräfin von Charny ist seit vielen
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