Die Graefin Charny
Volk! ... Hierher, Freunde!«
Gott weiß, was aus dem Zusammenstoß geworden wäre, wenn nicht Charny schnell vorgetreten wäre und den unbekannten Nationalgardisten beim Arm genommen hätte.
»Ein Wort, Herr Billot«, sagte er; »ich wünsche mit Ihnen zu sprechen.«
Billot – denn er war es – sah den Grafen betroffen an, wurde leichenblaß, blieb einen Augenblick unschlüssig und stieß seinen schon halb gezogenen Säbel in die Scheide zurück.
Das Zusammentreffen Billots mit Charny bedeutete eine günstige Verzögerung.
Die letzte Hoffnung der königlichen Familie war der Marquis von Bouillé, der mit der größten Sehnsucht erwartet wurde. Charny eilte davon, um ihn zu suchen. Die Königin blickte ihm angstvoll nach. Aber das Unglück wollte es, daß er – infolge von Mißverständnissen und Zufällen – erst in Varennes eintraf, als der König bereits auf der Rückreise war.
Nachdem alle Mittel versagt hatten, blieb der königlichen Familie nichts anderes übrig, als sich zu ergeben.
Aber kehren wir in das Haus des Gemeindevorstehers zurück.
Billot hatte dem König den Befehl überbracht, nach Paris zurückzukehren. Er wandte sich an den Adjutanten Romeuf, der inzwischen von der Königin gewonnen war.
»Nun, sind Sie entschlossen, abzureisen?« fragte er.
»Der König wünscht noch einige Augenblicke zu verweilen«, antwortete Romeuf; »niemand hat heute nacht geschlafen, und Ihre Majestäten sind im höchsten Grade ermüdet.«
»Herr von Romeuf,« erwiderte Billot, »Sie wissen wohl, daß Ihre Majestäten verweilen wollen, weil sie immer noch hoffen, daß der Marquis von Bouillé hier eintreffen werde. Aber wir müssen fort, und wenn Ihre Majestäten nicht gutwillig die Reise antreten wollen, so wird man sie mit Gewalt in den Wagen bringen.«
»Elender!« rief der Graf von Damas, indem er mit gezücktem Säbel auf Billot losstürzte.
Aber Billot sah sich ganz gelassen um und schlug die Arme unter. Er hatte nicht nötig, sich zu verteidigen: zehn Bewaffnete stürzten herein und umringten Damas.
Der König sah wohl, daß es nur eines Wortes oder einer Gebärde bedurfte, um ein furchtbares Blutbad hervorzurufen.
»Es ist gut,« sagte er, »lassen Sie anspannen; wir wollen abreisen.«
Madame Brunier, eine Kammerfrau der Königin, sank mit einem lauten Schrei in Ohnmacht.
Dieser Schrei weckte die beiden Kinder. Der kleine Dauphin fing an zu weinen.
»Sie haben gewiß kein Kind«, sagte die Königin zu Billot; »wie würden Sie gegen eine Mutter sonst so grausam sein können!«
Billot war betroffen. »Nein, Madame, ich habe kein Kind.«
Der König trat an das Fenster und sah unten den Wagen. Die Pferde waren angespannt. Das Volk bemerkte den König. Sogleich erhob sich ein furchtbares Geschrei; der König erblaßte.
Der Herzog von Choiseul näherte sich der Königin.
»Was befehlen Eure Majestät?« sagte er. »Wir wollen lieber sterben, als dies mit ansehen.«
»Wir wollen fort ... aber bleiben Sie mit Ihren Freunden bei uns, Sie sind es noch mehr sich selbst als uns schuldig!«
»Das mögen die Herren immerhin tun, wenn Sie können«, sagte Billot. »Wir haben Befehl, den König und die Königin nach Paris zurückzubringen, diese Herren kümmern uns durchaus nicht.«
»Und ich erkläre,« sagte der König mit mehr Entschiedenheit, als von ihm zu erwarten war, »ich erkläre, daß ich nicht abreise, wenn diese Herren ihre Pferde nicht haben.«
»Was sagen Sie dazu?« fragte Billot die Bewaffneten, die in ein lautes Gelächter ausbrachen.
»Ich will sie vorführen lassen«, sagte Romeuf.
Aber der Herzog von Choiseul trat dem jungen Offizier in den Weg.
»Verlassen Sie Ihre Majestäten nicht«, sagte er zu ihm; »Ihr Auftrag gibt Ihnen Gewalt über das Volk, und Sie sind mit Ihrer Ehre verantwortlich, daß Ihren Majestäten kein Haar gekrümmt werde.«
Herr von Romeuf blieb zögernd stehen. – Billot zuckte die Achseln.
»Es ist gut«, sagte er; »ich will mitgehen. Die Pferde stehen bereit. Fort also!«
»Fort!« wiederholten seine Genossen mit einem Tone, der keine Einwendungen zuließ.
Der König ging voran. Dann kam die Königin am Arme des Herzogs von Choiseul; dann Madame Elisabeth am Arme des Grafen von Damas; Frau von Tourzel mit den beiden Kindern und endlich die kleine Schar der Getreuen.
Herr von Romeuf, der als Abgesandter der Nationalversammlung unverletzlich war, hatte den Zug zu bewachen und in Schutz zu nehmen.
Die erlauchten Gefangenen setzten sich mit ihren
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