Die Graefin Charny
›bemerken Sie nicht die Ähnlichkeit, die zwischen unserem beiderseitigen Geschick besteht? Ich war aus Frankreich gekommen, so wie Sie aus Österreich gekommen sind; ich war für die Engländer eine Fremde, so wie Sie für die Franzosen eine Fremde sind; ich hätte meinem irregeleiteten Gatten guten Rat geben können; ich schwieg, oder gab ihm schlechten Rat; anstatt das Band zwischen ihm und seinem Volke fester zu knüpfen, reizte ich ihn zum Kriege auf; ich gab ihm den Rat, gegen London anzurücken; ich führte nicht nur einen Briefwechsel mit dem Feinde Englands, sondern begab mich sogar zweimal nach Frankreich, um fremde Soldaten nach England zu führen; endlich ...‹«
Barnave hielt inne.
»Fahren Sie fort«, erwiderte die Königin mit finsterer Stirn und zusammengepreßten Lippen.
»Warum sollte ich fortfahren, Madame; das Ende dieses blutigen Dramas ist Ihnen so gut bekannt wie mir ...«
»Ja, ich will also fortfahren, und Ihnen sagen, was das Porträt der Madame Henriette mir sagen würde. ›Endlich wurde der König von den Schotten verraten und ausgeliefert; er wurde gefangengenommen, als er eben nach Frankreich flüchten wollte ... Ein Schneider nahm ihn fest, ein Fleischer führte ihn ins Gefängnis; ein Bierverkäufer führte den Vorsitz in dem Gerichtshofe, der das unerhörte Urteil sprach, und um das Maß der Schande voll zu machen, schlug ein maskierter Henker dem Karl Stuart den Kopf ab!‹ Nicht wahr, das würde mir das Porträt der Madame Henriette sagen? Das weiß ich sehr gut; ich weiß es um so besser, als der Vergleich in vielen Punkten stimmt: Wir haben auch unseren Bierverkäufer aus der Vorstadt, er heißt Santerre; wir haben unseren Fleischer Legendre, glaube ich; das würde Madame Henriette zu mir sagen.«
»Ich würde ihr antworten: ›Liebe Prinzessin, Sie geben mir da keinen Rat, sondern Sie halten eine historische Vorlesung. Die Vorlesung ist zu Ende, jetzt erwarte ich den Rat.‹«
»Oh! Madame,« sagte Barnave. »Eurer Majestät kann man nur einen Rat geben: sich bei dem Volke beliebt zu machen.«
»Still,« sagte die Königin, »es kommt jemand ... wir werden ein andermal davon reden, Herr Barnave; ich bin bereit, Ihren Rat zu befolgen.«
»Eure Majestät werden im Speisesaal erwartet«, sagte der Diener, dessen Fußtritte man gehört hatte.
Marie Antoinette begab sich in den Speisesaal; der König kam aus einer anderen Tür; er hatte mit Pétion gesprochen und schien sehr aufgeregt. Zu seinen Offizieren sagte er:
»Meine Herren, nach dem Essen muß ich mit Ihnen reden; ich ersuche Sie daher, mir in mein Zimmer zu folgen.«
Der König aß viel wie immer, der Dauphin hatte schon tags zuvor Erdbeeren verlangt; die Königin war sehr traurig gewesen, ihm diesen Wunsch nicht erfüllen zu können, und als der Knabe alle Speisen unberührt ließ und wieder Erdbeeren verlangte, kamen ihr die Tränen in die Augen. Sie sah sich um, an wen sie sich wohl wenden könne, und bemerkte Charny.
Aber in diesem Augenblicke ging die Tür auf, und Barnave erschien, eine Schüssel mit Erdbeeren in der Hand.
»Eure Majestät,« sagte er, »werden huldreichst verzeihen, daß ich ungerufen eintrete; aber der durchlauchtigste Dauphin hat heute zu wiederholten Malen Erdbeeren verlangt.«
Unterdessen hatte sich Charny der Königin genähert, aber sie ließ ihm nicht einmal Zeit, zu fragen.
»Ich danke Ihnen, Herr Graf,« sagte sie, »Herr Barnave hat erraten, was ich wünschte, ich brauche nichts mehr.«
Charny verneigte sich und ging, ohne zu antworten, auf seinen Platz zurück.
»Ich danke dir, Freund Barnave«, sagte der kleine Dauphin.
»Herr Barnave,« sagte der König, »unser Diner ist nicht gut; aber es wird uns Vergnügen machen, wenn Sie daran teilnehmen wollen.«
»Sire,« erwiderte Barnave, »eine Einladung des Königs ist ein Befehl. Geruhen Eure Majestät, mir einen Platz anzuweisen.«
»Setzen Sie sich zwischen die Königin und den Dauphin«, sagte Ludwig XVI.
Barnave setzte sich freudetrunken.
Charny sah diese ganze Szene ohne die mindeste Regung von Eifersucht mit an; er betrachtete sogar mit einem gewissen Mitleid den armen Schmetterling, der ebenfalls das königliche Licht umflatterte, um sich die Flügel daran zu verbrennen.
Nach der Tafel begaben sich die drei Offiziere in das Zimmer des Königs.
Madame Royale, der Dauphin und Frau von Tourzel waren in ihre Zimmer gegangen. Der König, die Königin und Madame Elisabeth warteten.
Als die drei jungen Kavaliere
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