Die Graefin Charny
verlängert. An der Barriere hatte übrigens eine starke Grenadierabteilung den Wagen in die Mitte genommen.
Die ganze Bevölkerung von Paris war in die Champs-Elysées geströmt. Der König und die Königin blickten auf ein unabsehbares Menschenmeer. Tiefe, düstere Stille herrschte in dem ganzen weiten Umkreise; die Männer mit den Hüten auf dem Kopfe zeigten eine drohende Haltung.
Aber den traurigsten Eindruck machte eine doppelte Reihe Nationalgarde, die sich mit umgekehrtem Gewehr – zum Zeichen der Trauer – von der Barriere bis zu den Boulevards aufgestellt hatte.
Es war in der Tat ein Tag tiefer Trauer – der Trauer um eine siebenhundertjährige Monarchie. Die sich langsam fortbewegende Kutsche war ihr Leichenwagen, der das Königtum zur Gruft führte.
Als die den Wagen begleitenden Soldaten die lange Reihe Nationalgarde erblickten, schwenkten sie ihre Waffen und riefen: »Es lebe die Nation!«
Dieser Ruf wiederholte sich in der ganzen Reihe, von der Barriere bis zu den Tuilerien, und die ganze unabsehbare Volksmenge, die sich unter den Bäumen bis in die Straßen der Vorstadt und auf der andern Seite bis an den Fluß ausbreitete, rief einstimmig: »Es lebe die Nation!«
Man brauchte eine Stunde von der Barriere bis zum Platze Louis XV.
Hier bemerkte der König, daß man dem Standbild seines Ahnherrn die Augen verbunden hatte.
»Was soll das bedeuten?« fragte der König.
»Ich weiß es«, sagte Pétion; »man will die Verblendung der Monarchie dadurch andeuten.«
Trotz der Eskorte durchbrach die Volksmasse zwei- oder dreimal die Reihe der Grenadiere. Die Königin sah jedesmal entsetzliche, widrige, drohende Männergesichter am Kutschenschlage erscheinen.
Am Pont-Tournant standen zwanzig Abgeordnete, die die Nationalversammlung abgeschickt hatte, um den König und die königliche Familie zu beschützen. – Auch Lafayette mit seinem Generalstabe war da.
Lafayette näherte sich dem Wagen.
»Oh, Herr de Lafayette,« rief die Königin, sobald sie ihn bemerkte, »retten Sie die Leibgardisten!«
Dieser Ruf war nicht überflüssig, denn die Gefahr war groß.
Endlich hielt der Wagen vor den Tuilerien. »Ach! meine Herren,« sagte die Königin zu Pétion und Barnave, »retten Sie die Leibgardisten!«
»Haben Sie mir unter diesen Herren niemand besonders zu empfehlen?« fragte Barnave.
Die Königin sah ihn mit ihren klaren Augen scharf an.
»Niemand«, sagte sie.
Die nun folgenden zehn Minuten – selbst den Gang Zum Blutgerüst nicht ausgenommen– waren gewiß die peinlichsten ihres Lebens. Den Tod scheute sie nicht, aber sie war überzeugt, daß sie wie ein Spielzeug dem Volke überliefert oder in irgendein Gefängnis geschleppt werden würde.
Als sie, geschützt durch die Gewehre der Nationalgarde, aus dem Wagen stieg, wurde sie von einem Schwindel befallen und wäre beinahe zu Boden gesunken ...
aber als sie eben die Augen schließen wollte, glaubte sie mit dem letzten Blick jenen furchtbaren Mann zu sehen, der ihr einst in so geheimnisvoller Weise den Schleier der Zukunft gelüftet hatte, denselben Mann, der nur erschien, um die großen Katastrophen zu prophezeien, oder zu der Stunde, wo diese in Erfüllung gingen.
Als sie die Augen wieder aufschlug, sah sie, wie ihre Leibgardisten vom Wagen heruntergerissen wurden.
Charny, der, bleich und schön wie immer, allein gegen zehn Menschen kämpfte, blickte mit dem leuchtenden Blick des Märtyrers und dem Lächeln der Verachtung auf die Menge. – Von Charny schweiften ihre Blicke zu dem Mann hinüber, der sie mitten in dem ungeheuren Tumult davontrug; sie erkannte mit Schrecken den rätselhaften Mann von Faverney und Sèvres!
»Sie! Sie!« rief sie, indem sie ihn abzuwehren suchte.
»Ja, ich!« raunte er ihr ins Ohr. »Ich bedarf deiner noch, um die Monarchie in den Abgrund zu stoßen ... und dich rette ich!«
Das war mehr, als sie ertragen konnte. Mit einem lauten Schrei sank sie in Ohnmacht.
Unterdessen versuchte die Menge, den Grafen von Charny nebst seinen beiden Kameraden Malden und Valory in Stücke zu zerreißen; Drouet und Billot wurden im Triumph davongetragen
34. Kapitel
Als die Königin wieder zur Besinnung kam, befand sie sich in ihrem Schlafgemach. Sie fragte sogleich nach dem Dauphin. – Der kleine Prinz war im Bett. Seine Gouvernante, Frau von Tourzel, und Madame Brunier, die Kammerfrau, waren bei ihm.
Barnave hatte sich zweimal nach ihrem Befinden erkundigt. Madame Campan meldete ihr den Besuch.
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