Die Graefin Charny
anzuhören.«
»Mein Rechtsbeistand wird meine Verteidigung lesen«, antwortete der König.
Tiefe Stille folgte; die ganze Versammlung meinte, dem König, dessen Macht gebrochen war, dem Manne, dessen Leben an einem dünnen Faden hing, könne man wohl einige Stunden Gehör schenken. Vielleicht war der Konvent auf eine große, lebhafte Diskussion gefaßt: wer konnte wissen, ob nicht das Königtum sich plötzlich aufrichten und einige jener inhaltschweren, ergreifenden Worte, die nach Jahrhunderten noch wiederholt werden, sprechen würde.
Diese Erwartung ging nicht in Erfüllung, die Verteidigungsrede des Advokaten Desèze war eben – Advokatenrede und nichts weiter.
Der Verteidiger hätte zum Herzen und nicht zu dem klügelnden Verstande sprechen sollen.
Dann sprach Ludwig XVI.
»Meine Herren,« sagte er, »Sie haben meine Verteidigung gehört, ich will sie nicht wiederholen; ich spreche vielleicht zum letzten Male zu Ihnen, daß mein Gewissen rein ist und daß meine Verteidiger ebenfalls die reine Wahrheit gesagt haben.
Eine öffentliche Prüfung meines Verhaltens habe ich nie gefürchtet, aber mit tiefem Schmerz habe ich in den Anklageakten die Beschuldigung gefunden, ich hätte das, Blut des Volkes vergossen und das traurige Ereignis vom 10. August sei meine Schuld.
Die vielfältigen Beweise von Zuneigung zu dem Volke, die ich jederzeit gegeben habe, sind eine tatsächliche Widerlegung dieser Beschuldigung; mein ganzes Verhalten scheint mir darzutun, wie wenig ich die Gefahr fürchtete, um das Blut des Volkes zu schonen.«
Eine andere Antwort wußte der Nachfolger von sechzig Königen, wußte der Enkel Ludwigs des Heiligen, Heinrichs IV. und Ludwigs XIV. seinen Anklägern nicht zu geben!
Er hinterließ der Nachwelt nichts, nicht einmal einen gegen seine Henker geschleuderten Fluch!
Der Konvent fragte daher ganz erstaunt: »Haben Sie sonst nichts zu Ihrer Verteidigung zu sagen?«
»Nein«, antwortete der König,
»Sie können sich entfernen.«
Ludwig verließ den Sitzungssaal und wurde in ein anderes Zimmer geführt.
Hier schloß er den Advokaten Desèze in seine Arme, und als er bemerkte, daß dieser in Schweiß gebadet war, trieb er ihn an, die Wäsche zu wechseln, und wärmte selbst das Hemd, das der Advokat anzog.
Um fünf Uhr fuhr er in den Temple zurück.
Das Jahr 1793 begann. Der streng bewachte König hatte nur noch einen Diener bei sich. Während er am Neujahrsmorgen traurig über seine Verlassenheit nachsann, trat Clery an sein Bett und sagte leise:
»Sire, erlauben Sie mir, meine wärmsten Wünsche für das baldige Ende Ihrer Leiden auszudrücken.«
Dann stand der König auf und kleidete sich an. In diesem Augenblick traten die Kommissare ein. Ludwig trat auf einen zu und sagte: »Sie können mir einen großen Dienst erweisen. Ich bitte Sie, erkundigen Sie sich in meinem Namen nach dem Befinden meiner Familie und bringen Sie ihr meine Glückwünsche zum neuen Jahre.«
»Ich gehe«, antwortete der Kommissar, der sichtlich gerührt war.
»Ich danke Ihnen,« sagte der König; »Gott wird es Ihnen vergelten, was Sie für mich tun.«
Am 16. Januar sollte das Urteil gesprochen werden.
Die große, furchtbare Sitzung, die zweiundsiebzig Stunden dauerte, begann.
Der Saal bot einen sonderbaren Anblick, der mit dem Gegenstand der Verhandlung wenig im Einklang stand. Wer nicht wußte, welch ein furchtbares Drama aufgeführt weiden sollte, hätte es nicht ahnen können. Der Hintergrund des Saales bestand aus Logen, in denen hübsche, in Samt und Pelzwerk gekleidete Damen saßen und Orange und Gefrorenes aßen. Die Männer begrüßten sie, plauderten eine Weile mit ihnen, gingen auf ihre Plätze zurück und winkten einander zu; es war wie in einem italienischen Schauspielhause.
Die Seite des »Berges«zumal machte sich durch ihre Eleganz bemerkbar; unter den Montagnards saßen ja die Millionäre: der Herzog von Orleans, Lepelletier, de Saint-Fargeau, Hérault de Séchelles, Anacharsis, Clooty, der Marquis von Châteauneuf.
Alle diese Herren hatten Logen für ihre Mätressen, die mit dreifarbigen Bändern aufgeputzt und mit Eintrittskarten oder Empfehlungsschreiben versehen erschienen.
Die oberen, für das Volk bestimmten Tribünen wurden während der drei Tage nicht leer; man zechte wie in einer Schenke, man aß wie in einem Speisehause und sprach wie in einem Klub.
Auf die erste Frage: »Ist Ludwig schuldig?« antworteten 693 Stimmen mit Ja.
Auf die zweite Frage: »Soll über den
Weitere Kostenlose Bücher