Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Graefin Charny

Die Graefin Charny

Titel: Die Graefin Charny Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandre Dumas
Vom Netzwerk:
Gefühlen freien Lauf lassen zu können, denn man durfte ja nicht merken lassen, daß man von der bevorstehenden harten Maßregel Kenntnis hatte.
    Der junge Prinz wußte nichts; man hatte ihn mit der traurigen Nachricht verschont; er hing mit der größten Zärtlichkeit an seinem Vater, der wieder jung geworden war, um mit ihm zu spielen, und sich wieder zum Schüler gemacht hatte, um sein Lehrer zu sein.
    Um elf Uhr erschienen zwei Munizipalbeamte und sagten Seiner Majestät, sie wollten den jungen Ludwig abholen und zu seiner Mutter führen. Der König küßte seinen Sohn und beauftragte Clery, ihn zu seiner Mutter zu führen.
    Clery gehorchte und kam bald zurück.
    »Wo haben Sie meinen Sohn gelassen?« fragte Ludwig XVI.
    »In den Armen der Königin«, antwortete Clery.
    Einer der Kommissare erschien.
    »Mein Herr,« sagte er, »der Citoyen Chambon, Bürgermeister von Paris – der Nachfolger Pétions – ist in der Kanzlei und wird sogleich hier erscheinen.«
    Der Bürgermeister kam erst um ein Uhr in Begleitung des neuen Gemeindeprokurators Chaumette, des Aktuars Coulombeau und einiger Munizipalbeamter. Auch Santerre erschien mit seinen Adjutanten.
    Der König stand auf.
    »Was wollen Sie von mir?« fragte er den Bürgermeister.
    »Ich habe den Auftrag, Sie abzuholen,« antwortete Chambon; »das betreffende Dekret der Kommission wird Ihnen der Aktuar vorlesen.«
    Der Aktuar rollte ein Papier auseinander und las:
    »Dekret der Nationalkommission, die befiehlt, daß Louis Capet ...«
    Bei diesen Worten unterbrach ihn der König: »Capet ist nicht mein Name; so hieß einer meiner Ahnherren.«
    Als der Aktuar weiterlesen wollte, setzte er hinzu:
    »Ersparen Sie sich die Mühe, ich habe das Dekret in einer Zeitung gelesen. – Ich hätte gewünscht,« sagte er zu den Kommissaren, »in den zwei Stunden, die ich gewartet habe, wenigstens meinen Sohn bei mir zu behalten ... Ich werde Ihnen folgen, nicht um dem Konvent zu gehorchen, sondern weil meine Feinde die Gewalt in Händen haben.«
    »Dann kommen Sie«, sagte Chambon.
    »Lassen Sie mir nur Zeit, einen Überrock über meinen Frack zu ziehen ... Clery, meinen Überrock!«
    Der Kammerdiener reichte ihm den verlangten Überrock, der von nußbrauner Farbe war.
    Der Bürgermeister ging voran, der König folgte ihm.
    Er sah sich noch einmal nach dem Turm um und stieg in den Wagen. – Es regnete.
    Auf der Terrasse stieg Ludwig XVI. aus. Santerre legte ihm die Hand auf die Schulter und führte ihn vor die Schranken, auf denselben Platz, wo er die Verfassung beschworen hatte.
    Alle Abgeordneten blieben sitzen, als der König eintrat. Ein einziger stand auf und verneigte sich, als Ludwig XVI. an ihm vorüberging.
    Der König sah sich erstaunt um und erkannte den Doktor Gilbert.
    »Guten Morgen, Herr Gilbert«, sagte er. »Sie kennen Herrn Gilbert?« fragte er Santerre, »er war vormals mein Arzt ... Nicht wahr? Sie werden ihm nicht zürnen, daß er mich gegrüßt hat?« .
    Das Verhör begann.
    Hier, vor der Öffentlichkeit, begann der Nimbus, der den stillen Dulder umgeben hatte, zu verschwinden. Der König beantwortete die an ihn gerichteten Fragen, aber er antwortete zögernd, ausweichend, leugnend, mit absichtlichen Zweideutigkeiten. – Die Öffentlichkeit tat ihm großen Schaden.
    Das Verhör dauerte bis fünf Uhr. Dann wurde der König in den Konferenzsaal geführt, wo ihn sein Wagen erwartete.
    Der Bürgermeister trat auf ihn zu.
    »Haben Sie Hunger?« fragte er ihn; »wünschen Sie etwas zu essen?«
    »Ich danke Ihnen«, antwortete der König mit einer ablehnenden Handbewegung.
    Man begab sich in den Hof hinunter. – Als der König erschien, ertönte von allen Seiten der Schlußvers der Marseillaise.
    Ludwig XVI. war etwas betroffen und bestieg den Wagen.
    Chaumette schwieg und lehnte sich in eine Ecke des Wagens zurück.
    »Was fehlt Ihnen?« fragte der König nach einer Weile; »Sie sehen blaß aus.«»Es ist wahr,« antwortete der Prokurator, »ich fühle mich nicht wohl.«
    »Vielleicht können Sie das Schaukeln des Wagens nicht vertragen?« fragte Ludwig. XVI.
    »Es ist möglich.«
    »Haben Sie Seereisen gemacht?«
    »Ich habe den Krieg unter Lamotte-Piquet mitgemacht.«
    »Lamotte-Piquet war ein tapferer Mann.«
    Das Gespräch stockte wieder. – Woran der König wohl dachte? An seine schöne »Marion«, die in Indien siegreich gekämpft hatte? An den Hafen von Cherbourg, der dem Ozean abgewonnen war? An die Freudenschüsse, mit denen er in den Tagen seines

Weitere Kostenlose Bücher