Die Graefin Charny
befestigen, so daß die Prinzessinnen nicht nötig hatten, ihre Billetts mit Nadeln zu punktieren.
Die Gefangenen konnten daher täglich miteinander korrespondieren.
Die Lage des Königs hatte sich übrigens, seitdem er vor dem Konvent erschienen war, verschlimmert. Man hatte allgemein geglaubt, Ludwig XVI. werde nach dem Beispiel Karls I. dem Konvent jede Antwort verweigern, – oder stolz und würdevoll antworten, nicht wie ein Angeklagter, der vor Gericht steht, sondern wie ein Ritter, der die Herausforderung annimmt und den Handschuh aufhebt.
Unglücklicherweise war Ludwig XVI. nicht königlich genug, um einen dieser Wege einzuschlagen. Er antwortete schüchtern, zögernd, verkehrt, und als er endlich merkte, daß er sich mehr und mehr verwickelte, verlangte er einen Rechtsbeistand.
Am 14. Dezember zeigte man dem König an, daß er die Erlaubnis habe, mit seinen Verteidigern zu verkehren, und daß Malesherbes ihn an demselben Tage besuchen werde.
Als er den einfachen und in seiner Einfachheit so ehrwürdigen Greis von vierundsiebzig Jahren eintreten sah, vermochte er seine überwallenden Gefühle nicht zu unterdrücken; er brach in Tränen aus und ging mit ausgebreiteten Armen auf seinen Verteidiger zu.
»Lieber Herr von Malesherbes,« sagte der König, »kommen Sie in meine Arme! Ich weiß, was ich zu erwarten habe; ich bin auf den Tod vorbereitet. Sie werden finden, daß ich vollkommen ruhig bin.« Am 16. Dezember wurde eine Deputation gemeldet, die aus vier Konventmitgliedern bestand.
Sie überbrachte dem König die Anklageakte und die auf den Prozeß bezüglichen Beweisstücke, mit deren Protokollierung der ganze Tag verging. Jedes Dokument wurde von dem Sekretär vorgelesen, und nach jeder Ablesung sagte Valazé:
»Haben Sie Kenntnis davon?«
Der König antwortete ja oder nein.
Einige Tage später kamen dieselben Kommissare wieder und lasen einundfünfzig neue Aktenstücke vor, die der König unterzeichnete wie die vorigen.
Im ganzen hundertachtundfünfzig Dokumente, von denen er Abschriften erhielt.
Am 26. Dezember sollte der König zum zweiten Male vor den Schranken des Konvents erscheinen. Sein blonder, dünner, häßlicher Bart war gewachsen. Ludwig XVI. verlangte seine Rasiermesser. Sie wurden ihm zurückgegeben unter der Bedingung, daß er sich nur in Gegenwart von vier Kommissaren rasieren sollte.
Am 25. Dezember um elf Uhr begann der König sein Testament zu schreiben. Er schloß: »Ich bin bereit, vor Gott zu erscheinen und schließe mit der feierlichen Erklärung, daß ich mir keines der Verbrechen, deren man mich beschuldigt, zum Vorwurf mache.«
Wie konnte Ludwig XVI., der alle seine Eide brach und mit Zurücklassung einer Verwahrung gegen dieselben ins Ausland fliehen wollte, – wie konnte Ludwig XVI., nachdem er die Pläne Lafayettes und Mirabeaus einer sorgfältigen Prüfung unterzogen und den Feind herbeigerufen hatte, – wie konnte er sagen, daß er sich keines der Verbrechen, deren man ihn beschuldigt, zum Vorwurf mache?
Nur weil er sich auf den Standpunkt des absoluten Königtums stellte!
55. Kapitel
Der 26. Dezember brach an und fand den König auf alles, selbst auf den Tod, vorbereitet.
Die Königin hatte erfahren, daß der König zum zweiten Male vor dem Konvent erscheinen werde. Das Rasseln der Trommeln und der militärische Lärm hätte sie über die Maßen erschrecken können, wenn es Clery nicht gelungen wäre, sie darauf vorzubereiten.
Um zehn Uhr morgens stieg der König mit Chambon und Santerre in den Wagen. Im Sitzungsgebäude des Konvents angekommen, mußte er eine Stunde warten. Es waren eben Verhandlungen im Gange, denen der König nicht beiwohnen durfte. Ein Schlüssel, den er am 12. Dezember seinem Kammerdiener übergeben hatte, war diesem abgenommen worden. Man war auf den Gedanken gekommen, diesen Schlüssel an dem eisernen Schrank zu versuchen, und er hatte wirklich gepaßt.
Man hatte dem König den Schlüssel gezeigt.
»Ich kenne ihn nicht«, hatte er geantwortet.
Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte er ihn selbst verfertigt.
In derlei Verhältnissen fehlte dem König jede Selbstverleugnung und Seelengröße.
Als die Verhandlung zu Ende war, zeigte der Präsident der Versammlung an, daß der Angeklagte mit seinen Verteidigern bereit sei, vor den Schranken zu erscheinen.
Der König erschien in Begleitung seiner Verteidiger Malesherbes, Tronchet und Desèze.
»Ludwig,« sagte der Präsident, »der Konvent hat beschlossen, Sie heute
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