Die Graefin Charny
möge nicht so spät draußen bleiben, der Abendnebel könne ihr schaden.
»Ein Juniabend«, erwiderte die Königin lachend. »Ich wüßte wahrlich nicht, woher ich den Nebel nehmen sollte, wenn ich ihn etwa brauchte, um unsere Flucht zu verbergen ... Ich sage: um unsere Flucht zu verbergen; denn ich glaube, es heißt noch immer, daß wir abreisen?«
»Es ist wahr, Eure Majestät,« sagte Lafayette, »man spricht jetzt mehr als je davon, und man hat mir sogar gesagt, daß die Abreise heute abend stattfinden soll.« – –
Um halb zwölf Uhr beurlaubte sich Lafayette mit seinen beiden Adjutanten. Lafayette begab sich in das Stadthaus, um Baillys Besorgnisse über die Absichten des Königs vollends zu beschwichtigen.
Als der General fort war, riefen der König, die Königin und Madame Elisabeth ihre Dienerschaft und ließen sich wie gewöhnlich beim Auskleiden behilflich sein; dann wurden alle zur gewohnten Stunde entlassen.
Die Königin und Madame Elisabeth kleideten sich gegenseitig an; kaum waren sie fertig, kam der König; er trug einen grauen Frack und eine kleine Perücke; dazu kurze Hosen, graue Strümpfe und Schuhe mit Schnallen.
Seit acht Tagen war der Kammerdiener Hue jeden Abend in genau dem gleichen Anzuge aus der Tür des längst ausgewanderten Herrn von Villequier gekommen und über den Karussellplatz gegangen. Man hatte diese Vorsichtsmaßregel angewandt, um die Wachen und andere Personen im Schlosse an das Erscheinen eines so gekleideten Mannes zu gewöhnen und dem Erscheinen des Königs das Auffallende zu nehmen. Man holte nun die drei Kuriere aus dem Boudoir der Königin, wo sie die festgesetzte Stunde erwartet hatten, und führte sie durch den Salon in das Appartement der Madame Royale, wo sich diese mit dem Dauphin aufhielt. Dieses Zimmer war bereits am 11. Juni von Villequier geräumt worden; von dieser Wohnung aus war es nicht schwierig, das Schloß zu verlassen. Es war bekannt, daß sie leer stand; man wußte nicht, daß der König die Schlüssel dazu hatte.
Überdies waren die Schildwachen in den Höfen gewohnt, gegen Mitternacht viele Leute auf einmal fortgehen zu sehen, denn die Hofdiener, die nicht im Schlosse wohnten, begaben sich um diese Zeit nach Hause.
Alle Anordnungen zur Reise waren getroffen. Isidor von Charny, der mit seinem Bruder alle gefährlichen Orte an der Landstraße inspiziert hatte, sollte vorauseilen, um auf allen Stationen die Pferde in Bereitschaft zu halten.
Malden und Valory, die auf dem Bock sitzen sollten, sollten den Postillions dreißig Sous Trinkgeld bezahlen. Besonders schnelles Fahren sollte mit größeren Trinkgeldern belohnt werden; doch mehr als vierzig Sous durften nicht aufgewendet werden. Nur der König bezahlte einen Taler.
Der Graf von Charny sollte wohlbewaffnet im Wagen sitzen, um jedem Unfall zu begegnen; auch jeder der drei Kuriere sollte ein paar Pistolen im Wagen bereithalten.
Man hatte berechnet, daß man bei mittelmäßig schnellem Tempo in dreizehn Stunden in Châlons sein könnte.
All dies war zwischen dem Grafen von Charny und dem Herzog von Choiseul verabredet worden, und alle Weisungen waren daraufhin an die drei jungen Kavaliere weitergegeben worden.
Die Kerzen wurden ausgelöscht und man tappte im Finstern durch die Zimmer Villequiers.
Es schlug gerade zwölf, als man aus dem Zimmer der kleinen Prinzessin in die leerstehende Wohnung trat. Der Graf von Charny mußte seit einer Stunde auf seinem Posten sein.
Endlich fand der König die Tür. Er wollte den Schlüssel in das Türschloß stecken, aber die Königin hielt ihn zurück.
Man lauschte. Im Korridor hörte man Fußtritte und Geflüster. Draußen ging etwas vor.
Frau von Tourzel, die im Schlosse wohnte und deren Erscheinen in den Korridoren daher zu keiner Zeit auffallen konnte, erbot sich, durch die Zimmer zurückzugehen und nachzusehen, was das Geräusch und Geflüster bedeute.
Niemand wagte sich zu rühren; jeder hielt den Atem an.
Frau von Tourzel kam zurück; sie hatte den Adjutanten Gouvion erkannt und mehrere Uniformen gesehen.
Madame Elisabeth ging in das Zimmer der kleinen Prinzessin zurück und zündete das ausgelöschte Wachslicht an der noch brennenden Nachtlampe an. Mit diesem Licht versehen, suchten die Flüchtlinge jetzt einen andern Ausgang aus der Wohnung Villequiers.
Lange hielt man alles Suchen für fruchtlos, und es verging darüber mehr als eine Viertelstunde. Endlich fand man eine kleine Treppe, die zu einem einzelnen Zimmer im Zwischenstock
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