Die Graefin Charny
führte. Dieses Zimmer, welches der Bediente Villequiers bewohnt hatte, stieß an einen Korridor und eine Hintertreppe.
Die Tür war verschlossen. – Der König versuchte alle Schlüssel; keiner paßte. Der Vicomte von Charny suchte den Schloßriegel mit der Spitze seines Hirschfängers zurückzustoßen, aber der Schloßriegel widerstand.
Daraufhin nahm der König das Wachslicht, ließ die übrigen im Dunkeln zurück und begab sich in sein Schlafzimmer und von da auf der geheimen Treppe in seine Werkstatt. Dort nahm er ein Bündel Dietriche und ging zurück.
Einer faßte, die Tür ging auf, und alle atmeten wieder frei.
Mit frohlockender Miene sah Ludwig die Königin an.
»Nun, was sagen Sie dazu, Madame?« fragte er.
»Es ist wahr,« erwiderte die Königin lachend, »es ist gar nicht übel, Schlosser zu sein.«
Madame Elisabeth ging mit der kleinen Prinzessin voran. Zwanzig Schritte hinter ihr kam Frau von Tourzel mit dem Dauphin. Zwischen beiden ging Herr von Malden, der bereit war, ihnen nötigenfalls zu Hilfe zu kommen.
Als sie an die Tür des Karussellplatzes kamen, stand die Schildwache still. »Tante,« flüsterte die kleine Prinzessin, die Hand ihrer Begleiterin fassend, »wir sind verloren! der Soldat erkennt uns!«
»Das tut nichts, mein Kind«, erwiderte Madame Elisabeth; »wir sind noch mehr verloren, wenn wir zurückweichen.«
Sie setzten ihren Weg fort. Als sie der Schildwache bis auf einige Schritte nahegekommen waren, kehrte ihnen diese den Rücken zu, und sie gingen ungehindert weiter.
Ob der Soldat sie wirklich erkannt hatte? Ob er wußte, welche erlauchten Flüchtlinge er durchließ? Die Prinzessinnen waren davon überzeugt und segneten im stillen diesen unbekannten Retter.
Außerhalb des kleinen Gittertores bemerkten sie den Grafen von Charny, der schon in der größten Unruhe war.
Er trug einen weiten blauen Mantel und einen runden Hut von Wachsleinwand.
»Mein Gott! sind Sie endlich da?« flüsterte er. »Aber der König und die Königin? ...«
»Sie folgen uns«, antwortete Madame Elisabeth.
Er führte die Flüchtlinge schnell zu der Mietkutsche, die in der Rue Saint-Nicaise hielt. Ein Fiaker hielt neben der Mietkutsche.
»Du scheinst eine Fahrt zu haben, Kamerad?« sagte der Fiakerkutscher, als er die von dem Grafen Charny mitgebrachten Personen sah.
»Wie du siehst, Kamerad«, antwortete Charny.
Dann sagte er leise zu dem Leibgardisten:
»Nehmen Sie diesen Fiaker und fahren Sie zu dem Tor Saint-Martin; den Wagen, der uns erwartet, werden Sie leicht erkennen.«
Malden verstand ihn und setzte sich in den Fiaker.
»Und du hast auch deine Fahrt«, sagte er. »Geschwind zum Opernhaus!«
Kaum war der Fiaker in der Rue de Rohan verschwunden, so trat ein Mann in grauem Frack, den dreieckigen Hut tief ins Gesicht gedrückt, beide Hände in den Taschen, durch das Gittertor.
Es war der König. Herr von Valory folgte ihm.
Charny ging dem König einige Schritte entgegen; er hatte ihn erkannt, aber nicht an seiner Kleidung oder Haltung, sondern an Herrn von Valory, der ihm folgte.
»Kommen Sie, Sire«, flüsterte er ihm zu. »Und die Königin?« fragte er Herrn von Valory leise.
»Die Königin folgt uns mit Ihrem Herrn Bruder.«
»Gut; nehmen Sie den kürzesten Weg und erwarten Sie uns am Tor Saint-Martin; ich werde den längsten Weg wählen. Wir treffen uns an dem Wagen.«
Valory eilte auf dem kürzesten Wege zum Stelldichein.
Man wartete noch auf die Königin. – Es verging eine halbe Stunde. Charny, auf welchem die ganze Verantwortung lastete, war außer sich. Er wollte in das Schloß zurückeilen und sich erkundigen. Der König hielt ihn zurück. Der kleine Dauphin rief weinend nach seiner Mutter. Madame Royale, Madame Elisabeth und Frau von Tourzel vermochten ihn nicht zu trösten.
Die Angst wurde noch größer, als der Wagen des General Lafayette, von Fackeln begleitet, sichtbar wurde und auf den Karussellplatz fuhr. Dieser Wagen war auch der Königin begegnet, die mit Isidor von Charny einen unfreiwilligen Umweg gemacht hatte. Die beiden sahen ihn kommen und traten unter einen Torbogen, als auch schon die Pferde der Fackelträger zum Vorschein kamen. Der Vicomte schob die Königin in den dunkelsten Winkel und stellte sich vor sie hin.
In dem von den Fackelträgern umgebenen Wagen saß der General Lafayette in prächtiger Uniform.
In dem Augenblick, als der Wagen vorüberfuhr, fühlte sich Isidor durch einen starken Arm beiseite geschoben. Es war der Arm der
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