Die Graefin Charny
kleine königliche Gesellschaft verteilte sich sogleich auf der Landstraße. Der Dauphin lief Schmetterlingen nach, Madame Royale pflückte Blumen. Madame Elisabeth nahm den Arm des Königs; – die Königin ging allein.
Wer diese auf dem Wege zerstreute Familie gesehen hätte, würde sie für eine Gutsherrschaft gehalten haben, die sich auf ihr Schloß zurückbegibt.
Plötzlich blieb die Königin wie angewurzelt stehen. Auf der Landstraße erschien, in eine Staubwolke gehüllt, ein galoppierender Reiter.
Marie Antoinette sagte: »Ah! Nachricht von Paris!«
Alle sahen sich um, ausgenommen der Dauphin; der sorglose Knabe hatte den Schmetterling, dem er nachgejagt war, soeben gefangen; was lag ihm an den Nachrichten von Paris!
Es war wirklich der Graf von Charny; er trug einen grünen Reitrock mit flatterndem Kragen und einen Hut mit breitem Rand.
Sein sonst blasses Gesicht hatte durch den schnellen Ritt eine lebhaftere Farbe bekommen und seine Augen strahlten in ungewöhnlichem Feuer ... Die Königin hatte ihn noch nie so schön gesehen.
Er stieg vom Pferde und verneigte sich vor dem König.
»Es geht alles gut, Sire«, sagte Charny; »um zwei Uhr früh hatte noch niemand eine Ahnung von Ihrer Flucht.«
Die Reisegesellschaft setzte sich wieder in den Wagen; der Postillon setzte die Pferde in Trab; Charny ritt neben dem Wagen her.
Auf der nächsten Poststation fand man die Pferde bereit, nur nicht das Reitpferd für den Grafen. Isidor hatte nicht gewußt, daß sein Bruder ein Reitpferd brauchte. Der Wagen fuhr sogleich ab. – Charny mußte warten, aber fünf Minuten später war er im Sattel; er glaubte, der Wagen sei vorausgefahren; als er aber um eine Straßenecke bog, fand er den Wagen am Wege liegen; er konnte nicht weiter, weil ein Strang gerissen war. Hierdurch verlor man mehr als eine halbe Stunde Zeit, und jede Minute war ein unersetzlicher Verlust!
Um zwei Uhr kamen die Reisenden nach Châlons; die Pferde wurden gewechselt.
Der König zeigte sich einen Augenblick. Unter den Neugierigen waren zwei Männer, die ihn aufmerksam ansahen.
Plötzlich entfernte sich einer und verschwand.
Der andere trat näher.
»Sire,« sagte er leise, »zeigen Sie sich nicht so ... Sie sind sonst verloren!«
Endlich sind die Pferde eingespannt, die Postillone im Sattel. Der erste Postillon treibt die Pferde an ... beide stürzen.
Die Pferde werden mit Peitschenhieben wieder auf die Beine gebracht; man will den Wagen in Bewegung setzen, die beiden Pferde des zweiten Postillons stürzen ebenfalls. Der Postillon kommt unter das Sattelpferd zu liegen.
Charny stürzt auf den Postillon zu und reißt ihn unter dem Pferde hervor. Die steifen Stiefel des Postillons bleiben am Boden liegen.
Die Pferde sind dergestalt in den Strängen verwickelt, daß sie kaum wieder aufstehen können.
Charny stürzt auf die Pferde zu.
»Geschwind die Stränge los!« sagt er, »und dann wieder eingespannt!«
Inzwischen eilt der Mann, der sich plötzlich entfernt hatte, zu dem Bürgermeister; er meldet ihm, daß der König samt seiner Familie die Pferde wechselten, und verlangt einen Verhaftungsbefehl.
Anstatt sich von der Wahrheit der Aussage zu überzeugen, erklärt der Bürgermeister, die Sache könne nicht wahr sein, und als er endlich zum Äußersten getrieben wird, macht er sich zögernd auf den Weg zum Posthause. Aber es ist zu spät, der Wagen ist schon fort. Man hat mehr als zwanzig Minuten verloren.
Aber kaum sind die Reisenden hundert Schritte weitergefahren, so eilt ein Mann an den Wagen und ruft ihnen zu:
»Sie haben Ihre Maßregeln schlecht getroffen; man wird Sie anhalten!«
Die Königin schreit vor Schreck laut auf; der unbekannte Mann läuft davon und verschwindet in einem kleinen Walde.
Zum Glück sind es nur noch vier Meilen bis Pont-de-Sommevelle, wo der Herzog von Choiseul mit seinen vierzig Husaren wartet.
Aber es ist drei Uhr nachmittags, und man hat sich fast vier Stunden verspätet! ...
28. Kapitel
Der Herzog von Choiseul war mit dem Friseur Leonard bis Pont-de-Sommevelle gekommen. Hier wollte es das Verhängnis, daß die Bauern eines unweit gelegenen Landgutes die Bezahlung der Abgaben verweigerten. Man hatte ihnen mit Exekution gedroht; aber die Verbrüderung hatte ihre Früchte getragen, und die Bauern der umliegenden Dörfer hatten den gutsherrlichen Bauern für den Fall, daß die Drohungen zur Tat würden, Hilfe zugesagt. Als die Bauern Husaren einrücken sahen, glaubten sie, sie kämen in
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