Die Graefin Charny
der Graf von Charny, ein entschlossener, zuverlässiger Mann, wird ihren Platz einnehmen und nötigenfalls zwei Pistolen aus der Tasche ziehen. Die Königin wird nun Frau von Korff, und da alsdann nur eine erwachsene Dame im Wagen sein wird, so war es überflüssig, zwei Kammerfrauen in den Paß zu setzen. – Wollen Sie noch mehr wissen? Ich kann Ihnen noch über viele Dinge genaue Auskunft geben. Die Abreise sollte vor dem 1. Juni stattfinden; Herr von Bouillé bestand darauf; er hat an den König sogar einen merkwürdigen Brief geschrieben, worin er ihn ersucht, sich möglichst zu beeilen, weil der Geist der Truppen von Tag zu Tag bedenklicher werde. – Kurz, die Abreise wurde auf Sonntag den 19. festgesetzt; dann wurde am 18. früh eine neue Depesche abgeschickt, welche die Abreise auf morgen abend, den 20. Juni, festsetzte. Dies kann vielleicht Schwierigkeiten haben, denn Herr von Bouillé hatte allen seinen Truppen bereits Befehle gegeben und muß nun Gegenbefehle abschicken ... Das ist fatal, lieber Gilbert; nehmen Sie sich in acht!«
»Graf,« sagte Gilbert, »ich will aufrichtig gegen Sie sein: alles, was Sie sagen, ist wahr.«
»Lieber Gilbert,« fuhr Cagliostro fort, »Sie mögen über diese Flucht denken wie Sie wollen, sicher ist: Ludwig XVI. flieht nicht als Gatte und Vater; – nein, er verläßt Frankreich wegen der Verfassung, die ihm die Nationalversammlung nach dem Muster der Vereinigten Staaten zugeschnitten hat; – er verläßt Frankreich wegen der Vorgänge in Saint-Cloud, wo ihm das Volk bewiesen hat, daß er ein Gefangener war. Sie, lieber Gilbert, glauben noch an das schöne, trostreiche Ideal einer durch die Freiheit des Volkes gemäßigten Monarchie; Sie müssen aber bedenken, daß die Könige von Frankreich sich für die Stellvertreter Gottes auf Erden halten; nicht allein ihre gesalbte Person ist heilig und unverletzlich, sondern auch ihr Palast, ihre Diener! Ihre Diener sind Priester, mit denen man nur kniend sprechen darf; unsere Könige darf man bei Todesstrafe nicht berühren, und wer Hand an ihre Diener legt, wird vom Bann getroffen! Als man den König hinderte, nach Saint-Cloud zu fahren, hat man ihn berührt; das konnte er nicht ertragen; nachdem er den Fluchtplan des Marquis von Favras verworfen und sich geweigert hatte, mit seinen Tanten zu fliehen, will er morgen mit einem Paß des Herrn von Montmorin unter dem Namen Durand und in Bedientenkleidern fliehen; wobei er jedoch nicht vergessen hat, den roten, goldgestickten Frack, den er zu Cherbourg trug, einpacken zu lassen.«
Gilbert entschloß sich, ganz offen zu reden.
»Graf,« sagte er, »alles, was Sie sagen, ist wahr. Kommen Sie als ehrlicher Feind, der erklärt, daß er kämpfen will? Oder kommen Sie als Freund, der seinen Beistand anbietet?«
»Lieber Gilbert,« antwortete Cagliostro zutraulich, »zuerst komme ich als Meister, um den Schüler zu warnen: Freund, du bist auf einem Irrwege; du hältst dich fest an der morschen Ruine, an dem einstürzenden Gebäude der Monarchie. Entferne dich nicht von der Wirklichkeit, um einem Schatten nachzujagen! Bedarfst du meiner Hilfe, so biete ich sie dir hiermit an!«
»Seien Sie ganz offen, Graf, und sagen Sie mir, in welcher Absicht Sie mir dieses Anerbieten machen.«
»Es ist ganz einfach, lieber Doktor: in der Absicht, daß der König Frankreich verlassen und uns die Republik ausrufen lassen möge.«
»Die Republik?« sagte Gilbert erstaunt. »Lieber Graf, ich sehe und bemerke nicht einen einzigen Republikaner ...«
»Sie irren sich ... ich sehe drei: Pétion, Camille Desmoulins und Ihren ergebensten Diener; diese können Sie so gut sehen wie ich. Dann sehe ich noch andere, die Sie sehen werden, wenn es an der Zeit sein wird, daß sie erscheinen.«
Gilbert sann einen Augenblick nach. Dann reichte er Cagliostro die Hand und sagte:
»Graf, wenn es sich um mich handelte, so würde ich Ihr Anerbieten ohne Zögern annehmen; aber es handelt sich um ein Königreich, um ein Königshaus. Bleiben Sie neutral, lieber Graf, das ist alles, was ich verlange.«
Cagliostro lächelte.
»Still,« sagte Gilbert, »die Türglocke wird gezogen.«
»Was liegt daran? Sie wissen wohl, daß es der Graf von Charny ist; den Rat, den ich Ihnen zu geben habe, kann er auch hören und benutzen .... Nur herein, lieber Graf!«
Charny erschien wirklich in der Tür. Als er einen Fremden bei Gilbert sah, blieb er unschlüssig und etwas betroffen stehen.
»Hören Sie den Rat,« fuhr Cagliostro
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