Die Graefin Charny
meine Herren!« sagte Hannonet.
Die Leute gehorchten murrend.
»Sie werden entschuldigen, mein Herr«, sagte der Gemeindevorsteher zum König; »aber es geht das Gerücht, Seine Majestät Ludwig XVI. sei auf der Flucht, und wir haben uns pflichtgemäß zu überzeugen, ob es wahr ist.«
»Sich zu überzeugen, ob es wahr ist?« eiferte Isidor. »Wenn es wahr ist, daß der König in diesem Wagen sitzt, so müssen Sie ihm zu Füßen fallen; wenn der Reisende hingegen ein Privatmann ist, warum halten Sie ihn dann an?«
»Mein Herr,« sagte Sausse, der sich fortwährend an den König wandte, »ich rede mit Ihnen; wollen Sie die Güte haben, mir zu antworten?«
»Sire,« sagte Isidor leise, »suchen Sie Zeit zu gewinnen; der Graf von Damas folgt uns mit seinen Dragonern, und er kann nicht lange mehr ausbleiben.«
»Sie haben recht«, sagte der König.
»Und wenn unsere Pässe in Ordnung sind, werden Sie uns dann ungehindert Weiterreisen lassen?«
»Allerdings«, erwiderte Sausse.
»Nun, dann haben Sie die Güte, Frau Baronin,« sagte der König zu Frau von Tourzel, »Ihren Paß hervorzusuchen und diesem Herrn zu zeigen.«
Frau von Tourzel verstand; sie begann wirklich den Patz zu suchen, aber in Taschen, wo er nicht zu finden war.
»Sie sehen ja,« sagte eine ungeduldige Stimme, »daß kein Paß vorhanden ist!«
»Allerdings, meine Herren, wir haben einen Paß«, sagte die Königin, »aber die Frau Baronin von Korff weiß nicht mehr, wo er geblieben ist; sie hat nicht gewußt, daß man ihn vorzeigen muß.«
Ein lautes Hohngelächter der Umstehenden bewies, daß man sich durch diese Ausflucht nicht täuschen ließ.
»Wir können es kürzer machen,« sagte Sausse, »Postillions! – fahrt vor meinen Laden; die Herren und Damen werden aussteigen, und alles wird sich aufklären .... Vorwärts!«
»Oh, Damas! Damas!« sagte der König; »wenn er nur kommt, ehe wir in dem verwünschten Hause sind!«
Aber man kam an dem Hause an, ohne von Damas etwas zu sehen. Dieser hatte nicht kommen können; zuerst hatte ihn der Gemeinderat aufgehalten, dann waren seine Dragoner zur Nationalgarde übergetreten. Er selbst versuchte, sich mit einigen Offizieren durchzuschlagen.
Das Haus des Munizipalbeamten – wenigstens was die erlauchten Gefangenen und ihre Leidensgefährten davon sahen – bestand aus einem Spezereiladen, der durch eine Glastür von einem Speisezimmer getrennt war. In einer Ecke des Ladens war eine hölzerne Treppe, die in den ersten Stock führte, der aus zwei Zimmern bestand.
Frau Sausse erschien halb angekleidet oben an der Treppe, als zuerst die Königin, dann der König, die »Kinder Frankreichs«, Madame Elisabeth und zuletzt Frau von Tourzel in den Laden traten.
Mehr als hundert Personen begleiteten den Wagen und blieben vor dem Hause stehen.
»Es war von einem Paß die Rede«, begann Sausse; »wenn die Dame, die sich für die Herrin des Wagens ausgibt, mir ihn einhändigen will, so will ich mit ihm auf das Rathaus gehen, wo der Gemeinderat versammelt ist, um zu sehen, ob er gültig ist.«
Frau von Tourzel nahm das Dokument aus der Tasche und übergab es dem Gemeindebeamten, der sich sogleich aufs Rathaus begab.
In der Sitzung des Gemeinderats ging es ungemein lebhaft zu, denn Drouet war dabei. Sausse erschien mit dem Paß. Alle wußten, daß die Reisenden in seinem Hause waren, und bei seiner Ankunft entstand das tiefste Schweigen.
Er überreichte dem Bürgermeister den Paß.
»Meine Herren,« sagte dieser, »der Paß ist vollkommen gültig. Hier ist die Unterschrift des Königs!«
Er reichte den Paß den Umstehenden, die ihn sehen wollten; aber Drouet kam den übrigen zuvor und ergriff das Papier.
»Er ist freilich vom König unterzeichnet«, sagte er. »Aber wo ist die Unterschrift der Nationalversammlung?«
»Hier«, sagte sein Nachbar, der den Paß zugleich mit ihm und bei demselben Lichte las; – »hier stehen die Unterschriften der Mitglieder eines Komitees.«
»Mag sein«, erwiderte Drouet; »aber wo ist die Unterschrift des Präsidenten ... Überdies handelt es sich auch gar nicht um eine Unterschrift. Die Reisenden sind keineswegs die russische Baronin von Korff mit Kindern und Dienerschaft; es sind der König, die Königin, der Dauphin, Madame Royale, Madame Elisabeth, eine Palastdame, drei Kuriere .... Wollen Sie die königliche Familie aus Frankreich entfliehen lassen?«
Die Frage war klar und entschieden gestellt, aber für Gemeindebeamten einer Stadt wie Varennes schwer zu
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