Die Graefin Charny
lösen. Da die Beratung sich in die Länge zu ziehen schien, so entschloß sich der Gemeindevorstand, sich nach Hause zu begeben.
Er fand die Reisenden in seinem Laden. Madame Sausse hatte sie ersucht, sich in ihr Zimmer zu bemühen, hatte ihnen Sessel und sogar einen Imbiß angeboten, aber sie hatten alles abgelehnt.
Plötzlich erschien der Hausherr unter der vor der Tür versammelten Menge, durch die er sich nur mit Mühe einen Weg bahnte.
Der König ging ihm entgegen.
»Nun, der Paß?« fragte er mit einer Hast, die er vergebens zu bewältigen suchte.
»Der Paß«, antwortete Sausse, »ist im Gemeinderat der Gegenstand einer lebhaften Erörterung geworden.«
»Wie?« fragte Ludwig XVI. »zweifelt man etwa an seiner Gültigkeit?«
»Nein; aber man bezweifelt, daß er wirklich der Frau von Korff gehöre, und es geht das Gerücht, daß wir das Glück haben, den König und seine Familie bei uns zu sehen.«
Ludwig XVI. zögerte einen Augenblick mit der Antwort; dann faßte er plötzlich seinen Entschluß und erwiderte:
»Nun ja, ich bin der König ... hier ist die Königin, hier sind meine Kinder ... und ich ersuche Sie, uns mit der nötigen Achtung zu behandeln, welche die Franzosen ihren Königen gegenüber nie verleugnet haben.« Der König gab diese Erklärung mit Würde; aber sein einfacher Anzug war leider nicht geeignet, seiner Person etwas Imponierendes zu geben.
Die Königin fühlte den Eindruck, den die Erscheinung ihres Gemahls auf die gaffende Menge machte, und die Röte stieg ihr ins Gesicht.
»Wir wollen Ihre Einladung annehmen«, sagte sie hastig zu der Frau vom Hause; »führen Sie uns hinauf.«
Inzwischen verbreitete sich die Kunde, daß der König in Varennes sei, wie ein Lauffeuer durch die ganze Stadt. Ein Mann begab sich eilends auf das Rathaus und stürzte in den Sitzungssaal.
»Meine Herren,« sagte er, »die Reisenden, die bei, Herrn Sausse verweilen, sind wirklich der König und die königliche Familie .... Ich habe es aus des Königs eigenem Munde gehört.«
»Ich sagte es ja!« rief Drouet frohlockend.
Wie geschah es nun, daß Bouillé und Raigecourt mit ihren Husaren nicht in die Stadt kamen?
Wir wollen es erklären.
Gegen neun Uhr abends hatten die beiden Offiziere im »Großen Monarchen« gesessen, als der Friseur Leonard im gleichen Gasthause abstieg. Von ihm hörten sie, Damas sei von seinen Dragonern im Stich gelassen worden, der König werde wohl nicht kommen. Sie warteten bis nach Mitternacht.
Um halb ein Uhr wurden sie durch die Sturmglocke, das Trommeln und den Lärm aufgeweckt. Sie schauten aus dem Fenster und sahen die ganze Stadt in Bewegung. Darauf eilten sie in den Stall und ließen sogleich die für den König bereitgehaltenen Pferde herausbringen und vor die Stadt führen. Dort würde sie der König finden, nachdem er den Weg durch die Stadt zurückgelegt hätte.
Dann ließen sie ihre eigenen Pferde an denselben Ort bringen.
Inmitten des allgemeinen Geschreis und Getümmel erfuhren sie, daß der König angehalten und zu dem Gemeindevorstand geführt worden sei. Was tun?
Sollten sie die Husaren aufsitzen lassen und die Befreiung des Königs versuchen? Oder sollten sie zu dem Marquis von Bouillé eilen, den sie Wahrscheinlich zu Dun treffen würden.
Sie entschieden sich für das letztere. Das war ebenfalls Hilfe, die der König mit Gewißheit erwartete, und die nicht erschien.
30. Kapitel
Der Herzog von Choiseul, Kommandant des ersten Postens zu Pont-de-Sommevelle, hatte, um die aufgeregte Stadt Saint-Menehould zu umgehen, einen Seitenweg eingeschlagen. Er glaubte, der König sei aufgehalten worden; war dies nicht der Fall, so mußte ja der König in Saint-Menehould den Marquis von Dandoins und in Clermont den Grafen von Damas finden.
Wir haben gesehen, daß der Marquis mit seinen Leuten zurückgehalten wurde und daß der Graf fast allein die Flucht ergreifen mußte.
Endlich, um halb ein Uhr, als Bouillé und Raigecourt bereits auf dem Wege nach Dun waren, kam der Herzog von Choiseul mit seinen vierzig Husaren an das andere Ende der Stadt. An der Brücke wurde er mit einem kräftigen »Wer da?« empfangen und eine Schildwache der Nationalgarde trat ihm in den Weg.
»Frankreich! Lauzun-Husaren!« antwortete Choiseul.
»Passiert nicht!« antwortete der Nationalgardist und rief zu den Waffen. Zugleich entstand eine große Bewegung in der Stadt; beim Schein der Fackeln sah man eine Menge Gewehre glänzen.
Der Herzog von Choiseul, der nicht
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