Die Graefin Charny
Gemeindebehörde hat gegen meine Durchreise nichts einzuwenden; sie verlangt nur, daß ich bis Tagesanbruch warte.« Er zog seine Uhr hervor. – »Es ist bald drei Uhr ... Der junge Bouillé ist um halb ein Uhr fortgeritten ... um fünf oder sechs Uhr kann der Marquis von Bouillé persönlich hier eintreffen, und dann können wir ohne Gefahr für meine Familie und ohne Gewalt zu gebrauchen, Varennes verlassen und unsere Reise fortsetzen.«
Der Herzog von Choiseul erkannte die Richtigkeit dieser Gründe an; gleichwohl wandte er sich zur Königin; sein Blick schien andere Befehle zu erflehen. Aber sie sagte kopfschüttelnd: »Der König hat zu befehlen, meine Pflicht ist, zu gehorchen.«
Der Herzog verneigte sich und trat zurück. Zugleich zog er den Grafen von Damas, mit dem er sich besprechen wollte, auf die Seite und winkte den beiden Leibgardisten, an der Unterredung teilzunehmen. Er sagte:
»Meine Herren, der Marquis von Bouillé kann zwischen fünf und sechs Uhr hier sein, denn er muß zwischen Dun und Stenay stehen. Man wird den König von hier fortzuschaffen und nach Clermont zu bringen suchen, bevor er hier ist; sobald die Husaren in der Stadt sind, haben wir gewonnenes Spiel. Wir müssen uns vielleicht zehn Minuten zu halten suchen; wir sind zehn, es wird schwerlich jede Minute mehr als einer fallen, wir haben folglich Zeit!«
Die jungen Offiziere drückten einander die Hände, dann wurden die Posten verteilt; die beiden Leibgardisten und Isidor von Charny, den man jeden Augenblick erwartete, an die drei Fenster; der Herzog von Choiseul unten an die Treppe; ihm zunächst der Graf von Damas; dann Floirac, Foucq und die beiden andern treugebliebenen Offiziere von Damas' Dragonern.
Kaum waren diese Vorkehrungen getroffen, so entstand ein Getümmel auf der Straße. Eine zweite Deputation war im Anzuge; sie ließ sich melden, und der König ließ sie sogleich vor.
Zugleich erschien Isidor von Charny; er flüsterte der Königin einige Worte zu und eilte wieder fort. Die Königin trat einen Schritt zurück und hielt sich erblassend an dem Bette fest, in dem ihre Kinder schliefen.
Der König sah die Abgeordneten fragend an.
Endlich verneigte sich Hannonet und sagte:
»Sire, ich würde mich sehr glücklich schätzen, den Befehlen Eurer Majestät zu gehorchen; aber ein Artikel der Verfassung verbietet dem König, das Reich zu verlassen, und den guten Franzosen, ihm auf seiner Flucht Vorschub zu leisten.«
Der König schien betroffen.
»Demzufolge,« fuhr Hannonet fort, »hat der Gemeinderat von Varennes beschlossen, einen Kurier nach Paris zu schicken und die Antwort der Nationalversammlung abzuwarten, ehe Eurer Majestät die Weiterreise gestattet wird.«
Dem König stand der Schweiß auf der Stirn, während sich Marie Antoinette voll Ungeduld in die blassen Lippen biß und Madame Elisabeth ihre flehenden Blicke zum Himmel erhob.
»Wie? meine Herren,« sagte Ludwig XVI. mit einer gewissen Würde, die er zu zeigen pflegte, wenn er zum Äußersten getrieben wurde, »steht es mir denn nicht mehr frei, zu gehen, wohin es mir beliebt? Wenn das der Fall ist, so bin ich ja mehr Sklave als der geringste meiner Untertanen! Das ist eine Gewalttat; aber ich bin nicht so verlassen, wie es scheint; ich habe hier vor der Tür vierzig treue Soldaten, und in der Umgegend von Varennes zehntausend Mann Kerntruppen. Ich befehle Ihnen daher, Herr Kommandant, auf der Stelle meinen Wagen bespannen zu lassen .... Hören Sie, ich befehle es Ihnen! ich will es!«
Die Königin trat auf ihn zu und sagte leise zu ihm:
»Sire, wir müssen unser Leben daran wagen! unsere Ehre und Würde über alles!«
»Und wenn wir Eurer Majestät nicht gehorchen,« sagte der Kommandant der Nationalgarde, »was wird dann geschehen?«
»Dann werde ich Gewalt brauchen, und Sie sind dann verantwortlich für das Blut, das ich nicht vergießen wollte, und das in diesem Falle nicht von mir, sondern von Ihnen vergossen würde.«
»Wohlan denn, Sire,« erwiderte der Kommandant, »versuchen Sie es mit Ihren Husaren, ich werde die Nationalgarde bereithalten.«
Er entfernte sich.
Der König und die Königin sahen einander beinahe erschrocken an; vielleicht würden es beide nicht zum Äußersten getrieben haben, wenn nicht Madame Sausse mit der Derbheit und Rücksichtslosigkeit eines ungebildeten Frauenzimmers zu der Königin gesagt hätte:
»Nicht wahr, Madame, Sie sind die Königin?«
Marie Antoinette wandte sich ab, sie fühlte sich durch diese kecke
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