Die Graefin der Woelfe
beschwingt.
»Ich konnte nicht mehr länger schlafen und wollte mir mit einem Buch die Zeit vertreiben.« Er konnte nicht verhindern, dass seine Stimme zitterte. Der Anblick, den Amalia bot, erschreckte ihn über die Maßen. Sowohl in ihrem wollenen Tuch als auch am Saum ihres Gewandes hatte sich feuchte, dunkle Erde verfangen, ebenso waren ihr Haar und ihr Gesicht mit Erde verschmiert. »Fühlen Sie sich wohl, Frau Gräfin?«, fragte er, noch immer bemüht, sich seine Erschütterung nicht anmerken zu lassen.
»So wohl wie seit Langem nicht mehr, werter Doktor.« Mit einem freundlichen Lächeln wandte sie sich ab, betrat ihre Gemächer und schloss die Tür hinter sich.
Erasmus erstarrte und seine Augen konnten sich nicht von dem Fleck lösen, auf dem die Gräfin vor einem Atemzug noch gestanden hatte. Es dauerte eine ganze Weile, ehe er sich wieder bewegen konnte. Sein Kopf hallte wider von Fragen, auf die er keine Antwort fand. Wo war die Gräfin in der Nacht gewesen? Was hatte die seltsame Veränderung in ihrem Verhalten bewirkt? Sie war von besonders lebendiger Gesichtsfarbe. Ihre Augen besaßen einen ungewohnten Glanz, und sie schien um Jahre verjüngt. Dies alles war für sich genommen schon gespenstisch genug. Wirklich erschreckend aber fand er die dunkle Erde, mit der die Gräfin über und über beschmutzt war. Sie hatte sogar Schmutz im Gesicht, auf welchem sich breite Spuren frischer Tränen abzeichneten.
Erasmus erschauderte. Wieder in seiner Kammer setzte er sich an den Schreibtisch. Gedanken drängten in seinem Kopf, drängten danach, zu Papier gebracht zu werden. Bebend tunkte er die Feder in die Tinte.
So stellen wir uns nun die Frage, welcherlei Wesens ein Vampir sei. Gemeinhin verstehet man durch dieses Wort solche Personen, welche dem Leibe nach gestorben und auch begraben worden, jedoch in solchem Zustande den Lebendigen das Blut aussaugen, und solches in dem begrabenen Leibe aufbehalten, auch dadurch wachsen und zunehmen.
Diejenigen, welche von diesen in den Nächten besuchet und gewürget wurden, zeichnen sich durch besonders blasse und ungesunde Gesichtsfarbe aus. Sie verfallen zusehends und sterben binnen weniger Tage. Bisher ist kein Fall bekannt, in welchem die solcherart Gebissenen – noch vor ihrem leiblichen Tode – selbst zu Tätern werden, die ihren Opfern in der Nacht auflauern und das Blut aussaugen. Es ist aber zu erwarten, dass durch diesen Transfer des lebensspendenden Saftes die Person mit neuen Kräften versorget wird und sich so dem unausweichlichen Sterben des Leibes über längere Zeit entziehen kann.
Hastig überflog er das soeben Geschriebene. Erst jetzt wurde ihm bewusst, was dies bedeutete. Unwillkürlich fasste er sich an den Hals. Konnte das die Erklärung für die ungewohnte Gesichtsfarbe der Gräfin sein? Für ihr nächtliches Umherwandeln? War nicht nur Amalias Leben und ihre unsterbliche Seele in Gefahr, sondern darüber hinaus das ganze Dorf und alle Menschen, die mit ihr zu tun hatten? Rastlos stand er auf, hüllte den samtenen Morgenmantel enger um seinen Leib. Dabei hielt er sich mit einer Hand an seinem Sekretär fest. Nur langsam lösten sich die Finger vom Rosenholz. Was hatte er erwartet?
Seine Berufung führte ihn mitten hinein in die Abgründe der menschlichen Seele. Er atmete tief aus. Er würde sich dieser Herausforderung stellen, mutig, unerschrocken, mit wachem Geist. Er durfte keine Rücksicht nehmen, weder auf Bindungen noch Befindlichkeiten. Nach Licht lechzend schritt er zum Fenster und öffnete die Vorhänge. Dankbar stellte er sich den Strahlen des beginnenden Tages entgegen. So stand er lange Zeit, sammelte die Wärme auf seiner Haut und beruhigte seine Gedanken.
*
Amalia hatte dem Doktor kaum die Tür vor der Nase zugemacht, da trat Marijke in ihre Kammer. Ein Lächeln legte sich auf ihr Gesicht, doch kaum kam sie näher heran, schlug sie die Hand vor den Mund. »Um Gottes willen, was ist geschehen? Sie sind ja über und über mit Erde beschmutzt.«
»Ich hatte eine Unterredung mit einem alten Freund«, antwortete Amalia leichthin. »Keine Angst«, fügte sie hinzu, als sie sah, wie die Zofe erblasste. »Ich habe viel nachgedacht und einen Entschluss gefasst. Ab heute wird alles anders. Ich werde mein Leben wieder in die Hand nehmen, und sobald es geht, werde ich meine Tochter nach Hause bringen.« Sie hörte selbst, wie entschlossen und selbstgewiss sie klang. Marijkes prüfender Blick erheiterte sie. Amalia straffte die
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