Die Graefin der Woelfe
Tag. Beinahe hätte Gafur sich an dem Balg vergriffen, wenn ihm seine Mutter Dagomar nicht in den Arm gefallen wäre. Er war ihr dankbar deswegen. Auch wenn sich Dagomar in alles einmischte und ihm verbot, seine Frau zu beschlafen, solange das Kind noch jede Nacht schrie. Seitdem ging er lieber nach draußen, auch wenn es hundekalt war.
Mit wütenden Schritten durchmaß er das Dorf. Es war still, die anderen schliefen. In diesen Nächten, wenn vom Schloss das jämmerliche Heulen der Wölfe herunterschallte, griff eine eiskalte Hand nach Gafurs Nacken. Was, wenn sein Kind verhext war? Wenn dies die Rache der Wolfshexe war, die Rache dafür, dass er Bogumilla verboten hatte, die Komtess zu nähren?
Wenige Tage, nachdem er Margeth die Tür gewiesen hatte, schrie der Junge zum ersten Mal die ganze Nacht durch. Seitdem gab es keine Ruhe mehr in seinem Haus. Dagomar ging mit düsterem Blick umher. Manchmal murmelte sie vor sich hin. Sprach von Libuse und von Hexerei, und wenn sie ihn sah, zischte sie: »Dummkopf, sie wäre uns für immer dankbar gewesen. Nun fängt alles wieder von vorn an.« Als wenn er sich das nicht schon selbst gedacht hätte.
Unvermittelt war er zum Friedhof gelangt. Ein grauer Schimmer im Osten zeigte den kommenden Tag an. Er würde viel Arbeit bringen, die ihm wegen des wenigen Schlafes noch schwerer fiele als sonst. Da! Abrupt blieb er stehen. Sein Nacken verspannte sich, sein Mund wurde trocken. Gafur hielt den Atem an und lauschte angestrengt in die Dunkelheit. Da war es wieder. Es kam direkt vom Friedhof. Ein eigenartiges Geräusch, das ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ. Niemand war zu dieser Zeit auf der Straße, dennoch blickte er über seine Schulter. Es war nichts zu sehen. So rasch er konnte, rannte er vor dem Geräusch davon, hastete über die Straße und wäre beinahe über einen Rechen gestolpert, den jemand achtlos vor seinem Haus liegen gelassen hatte.
»Hast du sie gesehen?« Gafur erschrak nur kurz, dann erkannte er die lallende Stimme von Thomasz, der auf einer kleinen Mauer vor Bednars Haus saß. Gafur bekreuzigte sich. »Deine Alte hat dich wohl auch vor die Tür gesetzt. Also, als ich so jung war wie du, da hätte sich Libuse das nicht gewagt«, protzte der Schuster.
»Wen soll ich gesehen haben?«, fragte Gafur, froh, nicht mehr allein mit dem seltsamen Geräusch zu sein.
»Die Wolfshexe«, verkündete Thomasz. »Sonst irrlichtert sie nur im Schloss umher, schau.« Er zeigte hinauf nach Falkenfried. »Ich kann ihre Leuchter von hier aus sehen. Aber heute ist sie heruntergekommen.« Düster blickte er um sich, ehe er Gafur näher heranwinkte. »Sie ist auf den Friedhof geschlichen, stockfinster war es. Wenn du mich fragst, was sie dort treibt, ich sag’s dir, sie buhlt mit dem Jäger!«
Gafur griff nach der Flasche, die Thomasz in der Hand hielt. »Du hast für heute genug«, erklärte er, nachdem er getrunken und sich über den Mund gewischt hatte. Der scharfe Alkohol rann ihm warm die Kehle hinunter, dennoch lag ein Schauder auf seinem Rücken. »Was redest du für Blödsinn in deinem Suff?« Er schüttelte sich, wollte nicht glauben, was der Schuster gesagt hatte.
»Komm mit«, zischte der, ergriff seinen Arm und zog ihn zum Friedhof. »Ich zeig’s dir, hab sie schließlich mit eigenen Augen gesehen.«
Widerstrebend ließ er sich zur Friedhofsmauer ziehen, zurück zu den unmenschlichen Geräuschen, vor denen er gerade noch geflohen war. Je näher er der Mauer kam, umso schleppender wurde sein Schritt.
Thomasz zog erbarmungslos. »Nun komm schon«, stieß er hervor. »Ich will sehen, wie er es ihr besorgt.«
Gafur verzog das Gesicht. Doch die Geräusche, die vom Friedhof herüberwehten, stammten eindeutig aus der Kehle einer Frau. Es waren wimmernde Seufzer, wie er sie niemals vorher gehört hatte. Seine Hand streifte die kalte, mit feuchtem Moos bewachsene Mauer. Er wagte kaum zu atmen, während Thomasz die Luft stoßweise aus seinen Lungen blies. Angewidert betrachtete er die Silhouette des Schusters, der über der Mauer hing und in die Dunkelheit stierte, ehe er sich selbst hochzog und angestrengt zu erkennen versuchte, was dort unten an Jakobus’ Grab geschah. Er machte nur Umrisse aus, das allerdings war furchterregend genug. Auf dem Grab des Jägers bewegte sich etwas vollkommen Schwarzes. Wenn dies die Gräfin war, wie Thomasz gesagt hatte, dann lag sie mitten darauf, nicht von der Erde, die den Sarg bedeckte, zu unterscheiden. Was tat sie dort?
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