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Die Graefin der Woelfe

Die Graefin der Woelfe

Titel: Die Graefin der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabella Falk
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Gafur blinzelte in die Dunkelheit, von dem Wunsch, davonzulaufen und dem Bedürfnis zu ergründen, was vor sich ging, geradezu zerrissen. Die Sterne spendeten ein unheimliches, milchiges Licht, kaum genug, um auch nur Konturen zu unterscheiden. Dennoch erkannte er die Umrisse einer Frau, ohne jedoch wahrzunehmen, ob die Grube geöffnet war oder nicht. Es war auch möglich, dass der Jäger selbst den Sargdeckel aufgestemmt hatte und nun mit der Gräfin dort in unmenschlicher Vereinigung lag. Gafur spürte, wie sich sein Magen hob, er kämpfte dagegen an, sich zu erbrechen, während sich Thomasz mit einem röchelnden Atemzug von der Mauer gleiten ließ. »Komm schon! Oder hast du noch nicht genug gesehen?«, fügte er anzüglich hinzu.
    Gafur schauderte. Vieles in dieser Nacht war unmenschlich und widernatürlich. Sie gingen schweigend zurück zum Haus des Schusters. Dort blieben sie stehen.
    »Hab ich’s dir doch gesagt«, warf sich Thomasz in die Brust. »Nun hast du’s mit eigenen Augen gesehen.«
    Gafur nickte. Ja, er hatte es mit eigenen Augen gesehen. Es war grauenvoll. Furchterregend war es gewesen. Gafur wusste nicht, was das zu bedeuten hatte. Er wischte mit den Händen durch die Luft, als wollte er einen Gruß anbringen oder etwas wegwischen, dann wandte er sich von Thomasz ab und lenkte seine Schritte zu seinem Hof. Irgendwann stand er vorm Haus. Es befand sich an ebenjenem Platz, an dem es immer schon gewesen war, als wäre nichts geschehen, aber war es noch sicher?
    Leise öffnete er die Tür, horchte aufmerksam hinein. Seine Lieben schliefen. Gafur ging zum Schrank, in dem Bogumilla und Dagomar allerhand Geschirr und Wäsche liegen hatten. Hier lagerte auch die halb volle Flasche Branntwein, für Notfälle oder besondere Anlässe, dies hier war beides in einem. Mit zitternden Händen griff er sich eine Tasse und füllte sie fast bis zum Rand mit dem goldgelben, scharf riechenden Getränk. Dann setzte er sich an den Tisch. Bedächtig hob er die Arme, trank einen tiefen Schluck und schloss die Augen. Die Flüssigkeit brannte in seinem Hals.
    Was hatte er gesehen? Er konnte es nicht einordnen, aber es jagte ihm einen Schauder nach dem anderen über den Rücken. Noch immer hielt er die Tasse mit beiden Händen umfasst. Er hob sie erneut an den Mund und trank. Ein Seufzer entfuhr seiner Kehle. Er fürchtete sich aus tiefster Seele. Er hatte Angst, Angst um seine Kinder, seine Frau und um sich. Das ganze Dorf schien von dem, was heute Nacht auf dem Friedhof geschehen war, bedroht zu sein, wenngleich er nicht wusste, auf welche Weise. Gafur stützte die Arme auf den Tisch und legte den Kopf in die Hände. Was konnte er tun? Wen konnte er um Hilfe bitten? Thomasz war keine Stütze, selbst wenn er sich am nächsten Morgen noch an das Geschehene erinnerte. Dennoch, er musste mit ihm reden und mit Bednar. Er konnte die Last nicht allein tragen. Langsam öffnete Gafur die Augen wieder. Dagomar saß auf dem Stuhl ihm gegenüber. Er hatte sie nicht hereinkommen gehört und wusste auch nicht, wie lange sie schon da saß. Jetzt schwieg sie, blickte ihn nur aus klugen Augen an.
    »Mutter«, stotterte Gafur, ohne sich dessen bewusst zu sein. »Mutter, was soll ich bloß tun?«
    Die Hand seiner Mutter fuhr über sein Haar, wann hatte sie das zum letzten Mal getan?«
    »Ich habe etwas gesehen, was kein Mensch jemals zu Angesicht bekommen sollte.« Seine Augen schmerzten, er blickte zu seiner Mutter, blickte durch sie hindurch und nahm kaum etwas wahr. Dagomar schwieg. Er trank seine Tasse leer, presste beide Hände an die Ohren. Wollte nichts hören, wollte nichts sagen und wollte doch endlich das Erlebte mit jemandem teilen, der nicht schon vor Jahren seinen Verstand versoffen hatte. Mit einem Ruck legte er die Hände auf den Tisch, begann seine Erzählung, zögerlich – stockend. »Ich habe die Gräfin gesehen, heute Nacht. Sie lag auf dem Grab des Jägers. Ich weiß nicht, ob sie allein war. Ich weiß nicht, was sie getan hat. Aber ich habe sie gesehen und Thomasz hat sie auch gesehen.«
    Dagomars Augen weiteten sich, einen Moment nur. Dann atmete sie hörbar aus. Sie sammelte sich, Gafur kannte diese Geste, jetzt würde der Verstand seiner Mutter zu weben anfangen. Gleichmäßig, auf und ab, hin und her, so lange, bis sie alles wusste und alles durchblickte. So war sie.
    »Habt ihr zusammen getrunken?« Ihre Stimme klang betont ruhig.
    Seine Mutter wusste, dass er nicht trank. Wahrscheinlich wäre es ihr in dieser

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