Die Graefin der Woelfe
Ostflügel des Schlosses.
Er war ein alter Mann. Seine Knochen taten weh und sein Herz wollte nicht mehr schlagen.
2. Kapitel
Sommer 1708
S attes Hummelgebrumm erfüllte die Luft, die über der staubigen Straße flimmerte und nach frischem Gras duftete. Die Bäume hingen übervoll von unreifen Mirabellen und kleinen, grünen Birnen. In wenigen Wochen würden sich die Äste unter den Früchten biegen. Jetzt schien es, als hielte die Welt einen Augenblick inne, um Atem zu schöpfen für die Fülle des Sommers. Unter lautem Protest flog eine Lerche, die am Wegrand nistete, in die Höhe.
Um sich vor der sengenden Sonne zu schützen, lenkte Amalia ihr Pferd unter eine mächtige Rotbuche, die einen runden Schatten auf die Wegkreuzung warf. Auch Quintus, ohne den sie niemals nach Falkenfried gezogen wäre, nutzte die Gelegenheit, sich im Schatten auszuruhen. Er war die ganze Zeit zwischen Jakobus, der die Nachhut bildete, und ihr an der Spitze des Zuges hin- und hergelaufen. Der Hund hatte die zurückgelegte Strecke beinahe zweimal hinter sich gebracht und war entsprechend müde. Amalia beobachtete belustigt, wie er sich im Schatten zusammenrollte.
Zwischenzeitlich kam Wenzel gemächlich näher. Er zügelte seinen nervösen Hengst und blieb neben ihrem Wallach stehen. Sanft ergriff er ihre Hand, schob den Handschuh nach vorn und drückte seine Lippen auf ihre Haut.
Ihr Gesicht wurde heiß, ihre Wangen brannten. Sie zog rasch den Arm zurück.
Wenzel lächelte.
Mit Stolz beobachtete sie, wie er, kaum dass seine Mannen nahe genug waren, mit gebieterischer Geste die Richtung wies. Im gleichen Atemzug gab er seinem Pferd die Sporen und jagte davon.
Amalia nahm die Herausforderung an, trieb ihr Pferd an, und galoppierte hinterher. So zogen sie von Kreuzung zu Kreuzung, immer in einer wilden Mischung aus Galopp und Schritt, gerade so, wie sie es beobachtet hatte, als sie Wenzel zum ersten Mal sah.
Wie schön war er, ihr Ehemann. Wie schön und wild und wie gut er roch. Nach Mann und Pferd und irgendwie nach Abenteuer. Amalias Unterleib zog sich zusammen. Sie trieb ihr Pferd an, nur fort von diesen ungewohnten und Angst einflößenden Gefühlen.
Erst als es zu heiß wurde, nahmen sie von dem wilden Spiel Abstand. Schweigend trabten sie nebeneinander her. Amalia fühlte sich wohl. Vertraut. Geborgen. Nur wenn sich ihre Blicke trafen, wich sie in ihr Selbst zurück. Seine Augen ängstigten sie. In ihnen lag ein Ausdruck, den sie so noch nicht wahrgenommen hatte. Gleichzeitig zog dieser Blick sie an, schien sie sich darin verlieren zu können. Ihre Unruhe wuchs.
»Bei der nächsten Rast steige ich um in die Kutsche.« Sie bemerkte wohl, dass er sich wunderte. Sollte er, warum sah er sie auch so an?
»Ist Ihnen nicht wohl, meine Teuerste?«
Amalia beschloss, den ironischen Unterton zu überhören. »Ich möchte Marijke nicht die ganze Zeit allein lassen, sie wird sich langweilen ohne mich. Bisher sind wir immer gemeinsam in der Kutsche gereist.« Sein Blick kribbelte auf ihrer Haut. »Es ist Ihnen doch recht, mein Gemahl?«, fügte sie mit einem, wie sie hoffte, artigen Augenaufschlag hinzu.
In Wenzels Mundwinkeln zeigte sich ein freches Grinsen. »Würde es etwas ändern, wenn es nicht so wäre?« Er schien keine Antwort zu erwarten, gab im Gegenteil augenblicklich das Zeichen zum Halten.
Amalia eilte sich, vom Pferd zu springen, wollte keine Hilfe von ihm in Anspruch nehmen, ihn um keinen Preis berühren. Es schien, als wäre Wenzels Haut mit einer seltsamen Tinktur bestrichen, die ihr bei jeder Berührung Schauder über den Körper schickte. Schon wieder spürte sie ihre Wangen heiß werden. Es wurde Zeit, dass sie in die Kühle und Sicherheit der Kutsche eintauchte.
Wenzel ergriff ihre Hand und führte sie schweigend zum Feldrand. Ihre Haut brannte, ihr Herz überschlug sich und ihr Leib schien im ewigen Feuer zu verbrennen. Ihr Gemahl zeigte auf ein Kräutlein am Wege und nutzte die Ablenkung, um sich über sie zu beugen. Sein Mund berührte ihren Hals.
Ihr Herz setzte aus. Eine Ewigkeit verging, in der sie nicht atmete, nicht dachte. Die Härchen im Nacken stellten sich aufrecht. Würde sie jetzt in Ohnmacht fallen? Stattdessen tauchte sie noch einmal ein in seinen Geruch. Seine Lippen berührten ihren Nacken. Dies war kein Versehen. Dies war ein Kuss. Er hatte ihren Nacken geküsst.
Als wäre nichts gewesen, führte er sie zur Kutsche. Amalia setzte sich zu Marijke, die kaum von ihrer
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