Die Graefin der Woelfe
wieder vorkommen.«
*
Zwischenzeitlich hatte die Sonne den Zenit erreicht und der Graf drängte zum Aufbruch. An seinem Arm schritt Amalia ein letztes Mal über die Schwelle des elterlichen Schlosses. Mutter war den ganzen Morgen über nicht zu sehen gewesen. Sie hatte sich am Vortag von Graf Wenzel verabschiedet und ihr nur einmal kurz zugenickt. Zwischen ihnen war jedes Wort gesprochen. Dennoch trat Amalia mit klopfendem Herzen auf den Hof hinaus. Sie blickte hinauf zu den Fenstern, hinter denen Walpurgas Räumlichkeiten lagen. Vielleicht stand sie dort oben und beobachtete sie.
Schmerz bohrte sich in ihr Herz, Sehnsucht machte sich breit. Ein Verlangen nach Liebe und Wärme, eine Pein wie eine offene Wunde. Vielleicht war Mutter auf dem Weg zu ihr. Wollte sich verabschieden. Immerhin war Amalia nun eine verheiratete Frau. Erneut ließ sie den Blick schweifen. Nirgends war Walpurga zu sehen. Kein Abschied, keine erste und letzte Umarmung.
Mit heftiger Bewegung stieß Amalia den Atem aus und schritt auf die wartenden Dienstboten zu. Nahezu alle waren versammelt und sparten nicht mit guten Wünschen. Einzig Wanja und Jakobus fehlten.
Nach einigem Suchen fand sie die Magd in der Küche, wo sie mit den Vorbereitungen für das Abendessen beschäftigt war. Die Magd hatte die Ärmel ihres Obergewandes bis über die Ellbogen gezogen und vermengte mit beiden Händen die Zutaten für einen Blutkuchen. Als sie Amalia eintreten hörte, hob sie den Kopf. Ihre Augen waren gerötet und ein seltsamer Ausdruck lag darin, den Amalia nicht einschätzen konnte.
»Ich wollte mich verabschieden, aber du warst nicht draußen bei den anderen, also komme ich zu dir«, erklärte Amalia freundlich und trat ein paar Schritte näher.
Wanja versteckte die Hände hinter ihrem breiten Rücken.
»Es macht mir nichts aus, dass sie schmutzig sind.« Amalia lächelte. »Wisch sie nur an deiner Schürze ab, damit ich mich anständig von dir verabschieden kann.«
Die Magd zog die blutbesudelten Hände kurz über ihre Schürze und sank auf die Knie.
Amalia tat, als würde sie es nicht bemerken, und reichte ihr die Hand zum Abschied. Sie war gerührt. Dass ausgerechnet Wanja bei ihrem Abschied weinen würde, hätte sie nicht erwartet.
*
»Amalia, mein Kind, der Graf wartet auf dich. Ihr müsst los, sonst geratet ihr noch in die Dunkelheit.« Alexej stand aufrecht in der Mitte des großen Platzes und streckte seiner Tochter die Hand entgegen. Amalia kam mit hängenden Schultern auf ihn zu. »Aber Kind, was ziehst du für ein Gesicht?«
Sie errötete. »Ach Vater, jetzt habe ich mich von jedem verabschiedet, sogar Wanja habe ich in der Küche gefunden. Aber er ist nicht zu sehen. Ich kann doch nicht gehen, ohne Jakobus Lebewohl zu sagen.«
Alexej lächelte. Er freute sich darauf, ein letztes Mal zu beobachten, wie ihr geliebtes Gesicht aus dem Ausdruck tiefer Trauer innerhalb eines Wimpernschlags zu unbändiger Freude wechseln würde. Noch zögerte er, genoss die Vorfreude auf diesen Augenblick. Dann zwinkerte er ihr zu. »Denjenigen, den du suchst, findest du bei deinem Gefolge. Er hat seine Sachen auf eine der Kutschen geladen und will den größten Teil der Strecke auf dem Haflinger, den ich ihm überlassen habe, zurücklegen.«
Amalia war der Handbewegung gefolgt, mit der er seine Worte unterstrichen hatte. Es dauerte einen Augenblick, ehe sie verstand. Dann schnellte ihr Kopf herum und ihre Augen weiteten sich. Jubelnd fiel sie ihm um den Hals. »Ach Vater, mein liebster Vater«, jauchzte sie und überzog sein Gesicht mit Küssen.
Seine Tochter lief so rasch zu ihrem Pferd, wie es ihre neue Würde als verheiratete Frau zuließ. Strahlend trat sie Jakobus entgegen, der ihr Pferd am Halfter hielt.
»Es ist schön, dass du uns begleitest.«
»Ja, das ist es.« Jakobus nickte ernst und schickte sich an, ihr aufs Pferd zu helfen.
Graf Wenzel trat hinzu. Freundlich, aber bestimmt, reichte er Amalia eine Hand und übernahm die Aufgabe. Jakobus hatte sich abgewandt, sein Gesicht trübte eine seltsame Mischung aus Trauer und Freude.
Alexej wurde schwer ums Herz. So schwer, dass er beinahe nicht zusehen konnte, wie das Lachen aus seinem Leben wich. Er stand in der Mitte seines Hofes und sah den Reitern hinterher, bis sie seinen Blicken entschwunden waren. Ihm war, als würde alle Kraft aus ihm hinausgezogen, mit jedem tänzelnden Schritt ihres Pferdes.
Als der Zug mit dem Horizont verschwamm, schritt er zu der kleinen Kapelle im
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