Die Graefin der Woelfe
Vaters zurück. Der legte ihm schwer die Hand auf die Schulter. »Bring es zu Ende, Zdenko, dies hier ist nur ein Bild, keine Leiche. Du hast schon Schlimmeres tun müssen.«
Zdenko nickte. »Ihr habt es gehört, Männer!«, rief er mit bewegtem Blick in die Runde.
Zwei Männer schnitten das Bild aus seinem Rahmen. Schweigend gaben sie das Messer an Zdenko weiter. Der sog hörbar die Luft ein, erhob die rechte Hand und trieb es in die Leinwand. Ohne abzusetzen, schnitt er den Kopf heraus und warf ihn auf den Boden. Die Männer ließen das Bild fallen. Ohne sich noch einmal umzuschauen, verließen sie das Schloss.
*
Margeth sah, wie sie den Schlossberg hinuntereilten. Ihre Gesichter wirkten gehetzt. Schon die ganze Zeit hatte Margeth ein ungutes Gefühl gehabt, das sie nun bestätigt fand. In fiebernder Hast legte sie sich ihren Schal um und eilte zum Schloss. Sie musste nicht suchen. Die schmutzigen Schuhe der Männer hatten deutliche Spuren hinterlassen, auf denen sie bis zur Galerie gelangte.
Margeth kannte die Gemälde. Amalia hatte sie ihr an einem schönen Nachmittag voller Stolz gezeigt, da war die Farbe auf ihrem Abbild noch kaum getrocknet. Was sie nun erblickte, machte sie fassungslos. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie auf das Bild. Sie weinte nicht und spürte auch keine Trauer. Es war noch nicht einmal Wut. Margeth spürte eine Gewissheit, so ruhig und klar, wie sie es nie in ihrem Leben empfunden hatte, ruhig wie der Spiegel eines tiefen Sees. Langsam ging sie nach Hause, nahm den Granatapfel von seinem Bord, packte ihre wenigen Kleidungsstücke und ihre Hebammentasche. Sie verschloss die Tür nicht.
Ihr Weg führte sie an der Mâlse entlang bis zur Moldau. An ihr wanderte sie nach Norden. Blieb ein paar Wochen in der Stadt, in der es viel zu tun gab. Nach Johanni zog es sie weiter, immer am Fluss entlang. Manchmal blieb sie in einem Dorf bei einer Schwangeren und wartete, bis das Kind zur Welt kam. Dann zog sie weiter. Der Fluss wurde breiter und änderte seinen Namen. Die Landschaft wandelte sich. Margeth gelangte in ein unwirtliches Gebirge, wo sie ein paar Wochen bei der Familie eines Steinhauers wohnte. Seine Frau hatte eine schwere Schwangerschaft und bei der Geburt zweier Mädchen wäre sie beinahe gestorben. Als die Blutungen endlich aufhörten und die junge Mutter und ihre Kinder außer Gefahr waren, wollte sie weiter.
Der Vater nahm sie auf seinem Wagen mit in die große Stadt. Es war Herbst geworden, noch schien die Sonne, hatte aber schon viel von ihrer wärmenden Kraft verloren.
Sie kamen aus dem Gebirge heraus, passierten eine aufblühende, wunderschöne Stadt und fuhren weiter. Das Land wurde flacher, der Wind kam nun aus Osten und ward kalt. Margeth nahm einen tiefen Atemzug – endlich andere Luft. Ihr Weg führte sie durch zahlreiche Dörfer, die immer dichter zusammenzuwachsen schienen. Die Straßen und Plätze wechselten einander ab, von zahllosen Menschen gesäumt. Dies war die größte Stadt, die sie je gesehen hatte. Der Steinhauer setzte sie vor einem zweistöckigen Gebäude ab. Margeth stieg aus und blickte zum Dach empor.
»Gehen Sie nur, hier werden tüchtige Hebammen gebraucht«, erklärte der Mann und reichte ihr seine Hand.
Margeth dankte, packte ihre wenigen Sachen und klopfte an der Tür. Eine Ordensschwester öffnete und blickte ihr streng ins Gesicht.
»Gibt es hier Arbeit für mich?«, fragte Margeth und das Herz schlug ihr bis zum Hals.
»Arbeit gibt es hier mehr als genug«, antwortete die Schwester. »Kommen Sie doch herein.«
5. Kapitel
Sommer 1744
M argeth fuhr durch ihr noch immer dichtes, aber nahezu vollständig ergrautes Haar. Wie lange war es her, seitdem sie hier in Berlin ihre Bestimmung gefunden hatte?
Mit einem Schlenker wich sie einem Unrathaufen aus, der mitten auf der Straße lag. Sie hob ihre Röcke etwas höher. Der Müll und Schmutz dieser stets wachsenden Stadt stank zum Himmel. Jetzt war sie in die Magazinstraße eingebogen. Direkt vor ihrem Haus erblickte sie eine Wiener Droschkenkutsche, einen sogenannten Fiaker. Ehe ihr Verstand Überlegungen anstellen konnte, schlug ihr Herz schneller. Noch ein Stück höher raffte sie ihre Röcke und eilte auf die Kutsche zu. Die beiden Pferde standen still und schliefen, genau wie der Kutscher, den sie jetzt mit vertrauten Worten begrüßte.
»He, du Schlafmütze, wartest du auf mich?« Ein Lachen und ein Weinen stiegen gleichzeitig in ihr auf.
Jelko
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