Die Graefin der Woelfe
Offensichtlich war er schwer von Begriff, doch ehe sie ihren Auftrag wiederholen konnte, legte sich ein unverschämtes Grinsen auf sein Gesicht. Er winkte einen der Burschen heran, wiederholte ihre Angaben in befehlsgewohntem Ton und schickte nach seiner Gattin. Nach einer knappen Verbeugung schlenderte er zu seinem Herrn.
Augenscheinlich hatte sie es nicht mit einem einfachen Diener zu tun. Mit zusammengekniffenen Augen blickte sie ihm nach. Sollte dieser Mensch gar der Verwalter des Gutes sein? Scham über ihr ungebührliches Benehmen machte sich breit. Allein, er war selbst schuld. Warum lief er auch so schlecht gekleidet herum? Weiter blieb ihr keine Gelegenheit, darüber nachzudenken.
Eine Frau eilte mit resolut ausholenden Schritten auf sie zu. Sie trug ein schlichtes schwarzes Gewand, über das sie eine große Schürze gebunden hatte. Eine mächtige Haube schmückte ihren Kopf und an ihrem Gürtel trug sie gut sichtbar den Schlüsselbund der Burg, was sie als Ehefrau des Verwalters auszeichnete.
Marijkes Wangen wurden heiß.
Sie hatte sich gehörig im Ton vergriffen. Das war auch dann nicht zulässig, wenn der Verwalter durch seine nachlässige Kleidung im Grunde selbst Schuld trug.
»Schön, Sie auf Burg Falkenfried begrüßen zu dürfen. Mein Name ist Krysta.« Die Hausdame fasste Marijke unter den Arm. Ihr Gesicht strahlte vor Freundlichkeit und Anteilnahme. »Ich werde alles dafür tun, es der Prinzessin so angenehm wie möglich zu machen.« Krysta legte ein gewinnendes Lächeln auf ihr rundes Gesicht. »Das gilt natürlich auch für ihr Gefolge.«
In Marijkes Kammer angelangt, durchquerte Krysta den Raum und öffnete das Fenster. Ein herrlicher Duft von Sommerflieder wehte herein.
»Hatten Sie eine gute Reise? Es war sicherlich beschwerlich, so weit mit der Kutsche zu fahren. Ach, ich wäre ganz erschöpft an Ihrer Stelle.«
Marijke entspannte sich. »Wenn ich ehrlich sein soll, mein Rücken ist vollkommen durchgeschüttelt und mein Kopf fühlt sich an, als steckte er in einem Schraubstock. Es war in der Tat eine weite und beschwerliche Reise. Aber jetzt sind wir ja angekommen.«
Krysta nickte voller Verständnis und bedeutete ihr, sich auf einen bequemen Stuhl zu setzen. Ein Dienstmädchen, das sich in die offene Tür drängte, schickte sie nach einem Krug Wein und nach frischem Wasser. Während sich Krysta eine weitere Sitzgelegenheit herbeizog, plauderte sie fröhlich weiter. Sie sparte nicht mit Fragen über Wien, den Kaiser und die neueste Mode, als ahnte sie, dass es Marijke schmeicheln würde. Bald war ein erster Krug geleert, ein zweiter bereitgestellt.
Marijke fühlte sich unter Krystas Fürsorge zunehmend behaglicher, auch wenn die alte Burg ihre schlimmsten Befürchtungen bei Weitem übertraf. Sie war dunkel, zugig, schmutzig, altmodisch – ach, einfach furchtbar. Doch hier zu sitzen und sich mit dieser freundlichen, resoluten Frau zu unterhalten, fand sie ganz wunderbar. Eine neue, eine gute Erfahrung. Sie spürte ein Lächeln auf den Lippen, das die Verwalterfrau herzlich erwiderte. Fingen so Freundschaften an? Krysta schien genau das zu wollen.
Marijke spürte, wie ihr Herz einen kleinen Sprung tat, vor Freude und ein wenig aus Furcht. Sie bemerkte sehr wohl, dass die andere sie beobachtete. Was sah sie?
Eine ältliche Jungfer, leidlich hübsch mit strengen Gesichtszügen und einsamen Augen. Das sah auch Marijke, wenn sie sich im Spiegel betrachtete, doch was mochte die Hausdame darüber hinaus in ihrem Antlitz entdecken? Sah Krysta die Härte, verborgen hinter ihren vornehm geschminkten Lippen? Lag da ein Ausdruck auf dem Gesicht der Verwalterfrau, der verriet, dass sie aufhorchte, um Marijke nicht zu unterschätzen? Vielleicht erfasste Krysta den Kummer und das Leid, das sie über sich und andere gebracht hatte, weil sie sich nicht gewehrt hatte, weil sie feige war. Marijke versuchte, Krystas Blick auszuweichen. Niemand sollte wissen, welche Fehler sie begangen hatte.
»Die Dinge sind nicht immer einfach und selten, was sie zu sein vorgeben«, sagte Krysta und in ihren Augen lag noch immer die gleiche Wärme und Freundlichkeit.
»Wie meinen Sie das?« Marijkes Zunge fühlte sich schwer an.
»Das Vergangene ist vergangen. Wir können die Zeit nicht zurückdrehen, doch wir können für die Zukunft lernen. Sehen Sie, eine Frau muss nicht immer geduldig sein, oder zurückhaltend. Wir müssen das, was wir lieben, beschützen, um das kämpfen, was uns wichtig ist.« Krystas
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