Die Graefin der Woelfe
Bericht war so dünn wie sein Leib dick. Von einem Boten hatte er geschwafelt, der vor einigen Jahren in heidnischer Frühe in die Stadtresidenz gekommen sei. Er habe Kunde von Schloss Torgelow gebracht und der Fürst sei mit seinem Gefolge wenig später abgereist.
Auf seiner Wanderung hatte Erasmus bei den Bauern und in allen Wirtshäusern nachgefragt. Man erzählte ihm von der unrühmlichen Geburt des Fürsten, was kein Geheimnis war.
Ein Bauer jedoch fügte etwas Seltsames hinzu. »Hat Glück gehabt, der Fürst, dass es dem jungen Weib nicht ergangen ist wie seiner Mutter.«
Ein bekanntes Kribbeln zog durch seine Hände. Hier lag ein Geheimnis verborgen. Er fragte genauer nach. Da wurde der Bauer plötzlich laut.
»Warum will Er das denn unbedingt wissen?«, polterte er los. »War immer ein guter Mann, der Fürst. Und sein Sohn auch. Wir lassen hier nichts auf sie kommen.«
Wie zur Bestätigung rückten die Männer näher, die Gespräche im Wirtshaus verstummten. Einer der Umstehenden mischte sich ein.
»Nichts lassen wir auf den Fürsten kommen, überhaupt nichts. Von einem Hugenotten schon dreimal nichts.«
Erasmus war zurückgezuckt und hatte sich nicht getraut, weitere Fragen zu stellen.
Jetzt hörte er das fröhliche Lachen und Schwatzen der Waschfrauen. Er blieb stehen, genoss den anheimelnden Anblick. Die Erinnerung traf ihn wie ein warmer Sommerregen. Das Gesicht seiner Mutter leuchtete in seinem Geist, sie hielt ihm lächelnd einen Stoß frisch geplätteter und bestickter Wäsche entgegen. Er spürte dem unschuldigen Stolz nach, mit dem er sie entgegengenommen und zu ihren Besitzern gebracht hatte.
Edelgard von Spießen war eine robuste, rosige Frau gewesen, die zehn Kinder geboren hatte und ihrem Mann, dem Pfarrer einer kleinen Gemeinde in der Nähe Leipzigs, mit all ihrer Kraft zur Seite stand. Sie kümmerte sich um die Alten und Kranken und war überdies für ihre wunderbaren Handarbeiten bekannt. So kam es, dass sie für die vornehmen Damen der Umgebung stickte und klöppelte.
Die fertigen Arbeiten brachte Erasmus an ihren Bestimmungsort. Er tat es gern, denn neben den Leckereien, die er dafür bekam, liebte er es, die vornehmen Häuser der Reichen zu besuchen, bei denen er sehr beliebt war. Vor allem dem Grafen von Seydewitz hatte er es angetan. Ihm verdankte Erasmus, dass er in Leipzig Religion, Philosophie und Medizin studieren durfte. Auch seine erste Anstellung bekam er an von Seydewitz‘ Hof.
Gott meinte es gut mit ihm. Erasmus hatte allen Grund, stolz auf sich zu sein. Er machte eine steile Karriere, genoss einen hervorragenden Ruf und betrieb eine gut gehende Praxis. Um Gott zu danken, kümmerte er sich unentgeltlich um die Arbeiter der neu gegründeten Wollzeugfabrik in Linz.
Die drei Frauen waren mit ihrer Wäsche beschäftigt und bemerkten ihn nicht. Lautlos ließ er sich im Schatten einer alten Buche nieder und hörte ihnen beim Plaudern zu. Sie sprachen über eine Frau namens Libuse, die ein schreckliches Wolfskind geboren haben sollte. Das verstümmelte Kind war erst wenige Stunden alt und die ungebildeten Bauernweiber machten Hexerei für seine Missbildung verantwortlich.
Gegen den Aberglauben der einfachen Leute war kein Kraut gewachsen, dabei gab es viele vernünftige Gründe für die Geburt entstellter Kinder. Meist lag es an unreinem Blut, was man daran erkannte, dass in vielen Familien gleich mehrere kranke Kinder geboren wurden. Oft genug zeigte auch selbstsüchtiges und unweibliches Verhalten der Mutter solcherart negative Auswirkungen.
Er erinnerte sich lebhaft an eine putz- und tanzsüchtige junge Offiziersgattin. Sie hatte trotz seines Rates keines der vielen Wiener Feste ausgelassen, selbst als ihr Bauch schon so umfangreich geworden war, dass sie kaum noch eine Kutsche besteigen konnte. Am Ende gebar sie einen winzig kleinen Jungen, der blind und blöd blieb und im Alter von zwei Jahren verstarb.
Typisch für diese Art vergnügungssüchtiger Weiber. Sie bekamen unruhige Kinder, die, wenn überhaupt alt genug, niemals recht gescheit wurden.
»Ich hab’s mit eigenen Augen gesehen. Die Gräfin hat einen Wolf mit sich geführt. Deswegen hat Libuse dieses Scheusal geboren.«
Erasmus schrak aus seinen Gedanken. Das klang interessant, hier ging es nicht um eine namenlose Offiziersgattin. Mit der Gräfin musste Graf Wenzels Gemahlin gemeint sein. Obwohl eine andere Frau darauf hinwies, dass es wohl eher ein Hund denn ein Wolf gewesen sei, alarmierte ihn die
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