Die Graefin der Woelfe
Respekt vor dieser Frau, die außergewöhnlich stark sein musste, doch dann erkannte er, dass auch dies, da war er sich sicher, ein Zeichen ihrer Krankheit sein musste.
Sein Freund befand sich in allerhöchster Gefahr.
2. Kapitel
Herbst 1720
A malia rekelte sich behaglich in ihrem gepolsterten Sessel. Der Kachelofen verbreitete wohlige Wärme und selbst Marijke wirkte trotz der ersten kalten Oktobertage höchst zufrieden. Amüsiert beobachtete sie, wie die Zofe das unvermeidliche Stickzeug immer weiter von den Augen weghielt.
Wenzel hatte sich mit einigen Gästen zum Würfelspiel in einen anderen Raum zurückgezogen. Eine rücksichtsvolle Geste, denn Amalia fühlte sich durch das Knallen der Würfel und das gotteslästerliche Fluchen der Männer gestört. Wie gut, dass ihr Schloss endlich fertig war und genügend Raum bot.
Zu ihren Füßen lag ein edles Windhundepaar. Zwei hochgezüchtete Hetzhunde von der Insel und daneben, als gehörten sie zu einer Rasse, einer der zotteligen Nachkommen des treuen Quintus. Sie streichelte den Hund, ehe sie die Augen zur Decke richtete. Zwei Stockwerke lagen über ihr. Zunächst jenes, in dem die Gemächer von Wenzel und Marijke und ihre eigenen Räumlichkeiten untergebracht waren. Hier gab es auch einige Gästezimmer und die Bibliothek, die sich dank der vielen Geschenke von Lucas von Hildebrandt stets vergrößerte. Tränen füllten ihre Augen, als sie gedanklich durch das unbewohnte oberste Stockwerk schweifte. Der große helle Kindertrakt blieb leer.
Sie ballte die Hände zusammen und blinzelte die Tränen fort. Sie hatte und würde die Hoffnung nicht aufgeben. Niemals. Zu deutlich klangen ihr die Worte der Wahrsagerin in den Ohren. »Du hast eine Gabe, nutze sie.«
Allein, was meinte sie? Was für eine Gabe sollte das sein? Es verging kaum ein Tag, an dem sie sich nicht diese Frage stellte. Sie konnte rechnen – und sie hatte gerechnet. Sie hatte alles Mögliche errechnet. Sie wusste genau, wie lange ihr Zyklus dauerte und in welcher Woche sie die meisten Fehlgeburten hatte. Also blieb sie in diesen Wochen im Bett. Sie trank bittere Medizin, betete zur heiligen Anna und zur Jungfrau Maria. Nichts half. Sie wusste längst nicht mehr, was sie noch rechnen sollte. Welche Gabe hatte die Frau nur gemeint?
In ihrer Verzweiflung hatte sie Doktor von Spießen um Rat gefragt. Er hatte sie rüde abgewiesen. Margeth verschrieb ihr Mönchspfeffer und bei den fliegenden Händlern erwarb sie alles, was angepriesen wurde. Ob gestoßenes Rhinozeroshorn, ein Zehennagel der heiligen Hanna oder Mumia. Nichts half, wie mysteriös, selten oder teuer es auch war.
Amalia griff zu ihrem Buch, das von Hildebrandt aus Wien mitgebracht hatte, und versuchte, sich auf die Seiten zu konzentrieren. Eine Abhandlung über die Antike, mäßig interessant. Sie überlegte gerade, nach einem anderen Buch zu suchen, als ein Satz ihre Aufmerksamkeit fesselte. Ihr Blick huschte über die Buchstaben und sie kam doch nicht so schnell voran, wie ihr klopfendes Herz und ihr rasender Verstand den Sinn dessen verstehen wollten, was schwarz auf weiß geschrieben stand. Es war grandios und so einfach!
Sie schloss das Buch, nicht ohne einen Finger zwischen die Seiten zu legen, und versuchte, sich zu beruhigen – atmete tief in die Brust und zählte bis zwanzig. Anscheinend beiläufig wandte sie sich an Marijke.
»Was hältst du von Wolfsmilch?«
»Wolfsmilch? Ich glaube, die ist giftig, hilft aber bei Wunden, soweit ich weiß. Warum fragen Sie?«
»Das meine ich nicht, Marijke. Ich meine Wolfsmilch, die Milch von Wölfen.«
»Was ist damit?« Marijke ließ ihre Stickarbeit in den Schoß sinken.
»Hier steht«, sie las vor, »die Frauen der Antike tranken die Milch von Wölfinnen, um starke und gesunde Söhne zur Welt zu bringen. Sie beriefen sich auf die Legende von Romulus und Remus, die von einer Wölfin genährt heranwuchsen und schließlich die Stadt Rom gründeten.«
»Wie soll das gehen, Prinzessin? Wolfsmilch, so etwas!« Marijke schüttelte den Kopf und da Amalia schwieg, stickte sie wieder.
Ihr Herz bebte, ein Zittern durchlief sie von Kopf bis Fuß. Vergeblich bemühte sie sich um Contenance, denn sie war zu oft enttäuscht worden. Mit angehaltenem Atem blätterte sie um, zwang sich, langsam und gründlich zu lesen. Doch dann brach es aus ihr hinaus.
»Hör nur, Marijke.« Sie konnte das Beben in ihrer Stimme nicht mehr unterdrücken. Marijke blickte auf, Falten zerfurchten
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