Die Graefin der Woelfe
ihre Schritte zu verlangsamen.
Gemeinsam betrachteten sie den Wolf. Es war ein seltsamer Anblick. Seine Augen wirkten wie ein Spiegel. Jakobus glaubte, in die Tiefe der Tierseele zu blicken – oder war es seine eigene?
»Er sieht erschöpft aus«, murmelte der Älteste der Männer und seufzte. Worte, die bei einem der Burschen auf heftigen Widerstand stießen. »Der, der ist nicht müde. Der ist voller Hass, man kann es fast riechen.«
Jakobus erschrak. Spiegelte der Wolf tatsächlich die Seelen derjenigen wider, die ihn ansahen? Wie zur Bestätigung beteiligte sich nun auch der sonst eher wortkarge Jelko an den Vermutungen. Er blickte tief in die Augen des Einzelgängers.
»Ich sehe keinen Hass, eher Furcht und so etwas wie Hingabe. Als wüsste er, dass er eine Aufgabe zu erfüllen hat.«
Jakobus hatte schon in viele Wolfsaugen geblickt. Immer spiegelten sie das Gleiche. Opferbereitschaft, Liebe und Demut. Hier war der König des Waldes gefangen.
Mit einem Seufzen wandte er sich ab und gab die nötigen Anweisungen, um das Tier so schnell wie möglich aus seiner Zwangslage zu befreien.
Wenige Stunden später erwachte der erste Wolf in Amalias neuem Zwinger aus schwerem Schlaf. Auch wenn er sich nun in einer deutlich besseren Lage befand als bei seinem letzten wachen Moment, war dies doch keine Freiheit. Jakobus wusste das und dennoch bereitete es Faszination, zu beobachten, wie das Tier den Kopf in den Nacken legte und heulte. Ein Geräusch, das bei den meisten Menschen Furcht und Schrecken verursachte.
Jakobus fühlte zwiespältiger, doch seine Gedanken mochte er mit niemandem teilen. Nicht mit der Prinzessin, nicht mit Marijke oder Conrad. Mit keinem der Stallburschen und mit dem Grafen schon gar nicht. Einzig das Wohl seiner Prinzessin galt es zu hüten.
Die Kreatur war gefangen und sie waren bereits dabei, das Weibchen, das er ausgesucht hatte, von ihrem Rudel zu trennen. Er beobachtete den jungen Rüden eine Weile, und als der Wolf Witterung aufnahm und zu dem toten Kaninchen schlich, das einer der Burschen in das Gehege geworfen hatte, atmete er auf. So lange war es her, dass er diesen Anblick das letzte Mal gesehen hatte.
Er hob den Blick zum nahezu vollen Mond und begleitet von dem leiser werdenden Geheul reiste er zurück in eine Zeit, als noch alles möglich schien, bis er sich als jungen Mann sah, voller Tatendrang und voller Kraft.
Es war das erste Mal, dass er ohne seinen Vater einen Wolf gefangen hatte und neben Trauer war Stolz eines der Gefühle, das ihn erfüllte.
Der Wolf hatte seine Sache gut gemacht. Mehr als zehn Zuchthündinnen waren Wochen später mit gesunden Wolfshunden niedergekommen. Der Fürst hatte ihm eine Flasche Branntwein gebracht und der Wolf, der seine Pflicht getan hatte, schnürte durch seinen Käfig. Als Nächstes hätte er das Tier, für das es jetzt keine Verwendung mehr gab, töten müssen. Doch alles kam anders.
Die Bilder schwanden und eine weitere Erinnerung drängte sich vor Jakobus’ geschlossene Lider. Es war das letzte Gedenken an seinen Vater und es füllte seine Augen mit Tränen.
Der alte Veit hatte am frühen Morgen die ersten Anzeichen der Pest an sich entdeckt und er wusste, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb, bis er seiner geliebten Frau – Jakobus’ Mutter – in den Tod folgen würde. So rief er ihn zu sich.
»Mein Sohn«, erhob er seine Stimme in brüchigem Flüstern und Jakobus war, als würde der Herbstwind die Stimme an sein Ohr tragen, als hätte er sie gestern zum letzten Mal gehört.
»Binnen weniger Tage werde auch ich dich verlassen haben. Ich hatte ein gutes Leben und eine liebe, kluge Frau. Du bist mir ein wunderbarer Sohn. Ich freue mich auf deine Mutter, Jakobus, und um dich ist es mir nicht bange, denn ich weiß, der Fürst wird für dich sorgen und du für ihn, wenn die Zeit gekommen ist. Und sie wird kommen.«
Ein heftiger Hustenanfall unterbrach die Worte des Vaters. Jakobus stützte seinen Kopf und gab ihm, nachdem der Husten abgeebbt war, von dem mit Wasser verdünnten Wein. Nach einer Weile fuhr der Alte fort.
»Das, was ich dir nun erzähle, sollst du in deinem Herzen bewahren und nur dann davon Gebrauch machen, wenn es notwendig wird. Nutze dieses Wissen als Warnung, damit du diejenigen, die du liebst, dereinst schützen kannst.«
Jakobus schluchzte auf. Wen sollte er schützen, wen sollte er noch lieben, wenn nun auch sein Vater von ihm gehen würde? Es schien, als wüsste der Alte, was Jakobus dachte. Vater
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