Die Graefin der Woelfe
Spiegelsaal sollte von Hunderten Kerzen in ein wahres Lichtermeer verwandelt werden.
Amalia sah zu, bis Elena auf ihrem Arm zu krähen begann. Sie schien sich zu langweilen und wollte einige Schritte weitergetragen werden. Amalia wusste, wie sie ihr anspruchsvolles Kind zufriedenstellen konnte, und schritt die Treppen hinauf zur Ahnengalerie, einem schmalen, hellen Raum, in dem zahlreiche Porträts derer von Falkenstein hingen.
»Sieh her, meine Süße«, erklärte sie vor dem düsteren Gemälde einer der Falkensteins, »dies hier ist dein Ururgroßvater. Er war ein tapferer Krieger und ein großer Held, sagte man mir.«
Elena gluckste vor Vergnügen und Amalia schritt zur nächsten Ahnin, einer strengen Gräfin mit dunklen Augen. Das dritte Bild, das sie länger betrachteten, war ein lebensgroßes Gemälde, das in der Mitte der Galerie hing.
Ehe Amalia etwas sagen konnte, füllte Wenzels Stimme den Saal.
»Dies, meine Kleine, ist deine schöne Mutter. So, wie sie aussah, als ich sie geheiratet habe. Wenn du groß bist, wirst du einmal genau so schön sein wie sie.«
Amalia drehte sich lächelnd um. Sie gab Elena einen Kuss und legte sie in die ausgestreckten Arme ihres Vaters. Wenzel strahlte über das ganze Gesicht. Er wirkte so jung wie seit vielen Jahren nicht mehr. Amalias Herz wollte vor Glück beinahe zerbersten. Tränen traten ihr in die Augen und eine Melancholie machte sich breit, die sie kaum verstehen konnte.
Gemeinsam betrachteten sie das Bild, das vor vielen Jahren von ihr gemalt worden war.
Der Künstler hatte sie in ihrer vollen Reitkleidung abgebildet. Auch das Gewehr fehlte nicht und der treue Quintus lag zu ihren Füßen. Amalia legte den Kopf an Wenzels Schulter, er passte noch immer genau dorthin. Sie schloss die Augen, eingetaucht in einen vollkommenen Augenblick.
Schließlich verlangte Elena danach, ihren Hunger zu stillen.
»Die Pflicht ruft«, erklärte Amalia lächelnd, nahm ihre Tochter entgegen und machte sich auf den Weg in den Kindertrakt. Auf der Treppe drehte sie sich um. Wenzel stand noch immer im Gang und blickte zu ihr auf. Sie lächelten einander zu, doch noch ehe Amalia das warme Gefühl, das ihr Herz erfüllte, vollständig ausgeschöpft hatte, fuhr sie erschreckt zusammen. Elenas silberne Kinderrassel, die sie vor wenigen Augenblicken von ihrem Vater bekommen hatte, war ihr aus den Fingern geglitten und mit hellem Klirren eine Stufe hinabgerollt. Amalia starrte auf die Rassel, die am Boden lag. Erst nach einigen Atemzügen bückte sie sich und hob das Spielzeug auf.
*
Erasmus spürte die Jahre in seinem Körper, doch so oft es ging, legte er die Strecke nach Zwinzau noch immer per pedes apostolorum zurück. Jetzt eilte er hinauf zum Schloss, immer wieder von vornehmen Equipagen zum Ausweichen gezwungen.
Die Dorfstraße war von Menschen gesäumt. Jeder, der es irgendwie einrichten konnte, versuchte, seine Tätigkeit nach draußen zu legen. Ein nicht enden wollender Strom vornehmer Gäste, die zur diesjährigen Jagd unterwegs waren, gab einigen Anlass zum Staunen und zum Lästern.
Erasmus war sich bewusst, dass er mit seinem Stab und den weit ausholenden Schritten wie ein Prophet wirken musste. Ein Bild, das ihm gefiel.
Wenige Meter vor ihrem Hof stand Dagomar. Als er sie erreichte, blieb er stehen und wandte sich ihr zu. »Mein herzlichstes Beileid«, erklärte er feierlich.
»Die Kunde vom Tod meines guten Gawrils ist bis Linz vorgedrungen? Das ehrt uns.« Dagomar schien ehrlich erstaunt.
»Nicht nur bis Linz, liebe gute Frau. Die Gräfin hat mich in einem Brief unterrichtet, der mich in Ungarn erreichte. Es war der Gleiche, in dem sie mir Mitteilung über die Segnung ihres Leibes machte.«
»Die Gräfin hat …?« Dagomars Kopf schnellte in Richtung des Schlosses. »Sie hat Ihnen vom Tod meines Gatten berichtet? Das war sehr mitfühlend von ihr.« Im Gesicht der alten Bäuerin veränderte sich etwas. Erneut blickte sie zum Schloss hinauf. Dann schüttelte sie entschlossen den Kopf, ihre Augen nahmen wieder den alten, harten Ausdruck an und blitzten Erasmus neugierig an. »Ihr wart in Ungarn, lieber Doktor. Sicherlich konntet Ihr das Geheimnis um die seltsamen Vorkommnisse dort aufklären? Sagt, stimmt es denn, was die Leute erzählen?«
»Was soll ich Ihnen sagen, gute Frau. Ich fand alles genau so, wie man es berichtet hatte. Ich habe sogar mit dem Weib des Plogojowitz sprechen können, die mir versicherte, dass der Verstorbene Tage nach seinem
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