Die Graefin der Woelfe
herzzerreißenden Wimmern. Amalia erhob sich, wiegte Elena auf den Armen und versuchte, sie erneut anzulegen. Elena saugte, weinte und saugte wieder, als wollte sie sich dadurch selbst beruhigen. So verging die Zeit und keiner von ihnen konnte sich beruhigen. Es schien fast, als würde Amalias Unruhe in Elena nur noch verstärkt werden.
Auf Drängen von Marijke und dem Kindermädchen legte Amalia gegen Mittag ihr erschöpftes Kind in die Wiege und machte sich zurück zu ihrer Gesellschaft, die bereits mehrfach nach ihr gefragt hatte.
Unkonzentriert eilte sie durch die Gänge, ohne dass ihr Verstand darauf achtete, wohin ihre Füße traten. Sie blieb stehen und legte den Kopf in den Nacken. Etwas drang in ihr Bewusstsein, ihr Herz stockte und ihr Atem wurde flach. Amalias Füße zogen sie unmissverständlich in die entgegengesetzte Richtung, sie drehte sich um und rannte nach draußen.
Außer Atem stand sie auf dem Weg. Noch immer nieselte es und der Himmel war grau. Vor ihr lagen die Pferdeställe. Jetzt, auf dem Höhepunkt der Jagd, waren dort kaum ein Mensch und kaum ein Tier zu sehen. Nur die Wölfe waren zurückgeblieben. Sie lagen faul und satt in ihrem Gehege. Eine Wölfin säugte ihre Jungen. Selbst dieser Anblick konnte ihre Unruhe nicht besänftigen. Aus einem der Ställe vernahm sie das heisere Husten, das Jakobus seit Monaten auf Schritt und Tritt begleitete.
Sie überlegte, ob sie zu ihm gehen, seine schwielige Hand ergreifen und schweigend mit ihm durch den dünnen Regen laufen sollte. Aber was hätte sie ihm auf seine Frage antworten sollen?
Sie wusste, dass es eine Antwort gab. Es war, als stünde sie in einem Billett, das vor ihr lag, das sie nur aufheben und lesen musste. Amalia wollte das Billett nicht lesen. Sie ging einfach weiter. Ihre Schritte führten sie zielstrebig zu der alten Wehrmauer im hinteren Teil der Anlage. Sie erklomm die wenigen Stufen zum Wehrgang und blickte zwischen den Zinnen hindurch in die weite Ebene.
*
Jakobus schlich durch die Stallungen. Es war das erste Mal, dass er bei einer Jagd nicht dabei sein konnte. Es war schwer, seine Aufgaben an die Jugend abzugeben, auch an einen so würdigen Nachfolger. Ein Nachfolger!
Jakobus lächelte. Genau das war es, was er brauchte, einen würdigen Nachfolger, wie Andres einer war. Er musste nur lang genug durchhalten, bis dessen Jüngster Caspar den Hof übernehmen konnte. Dann würde er ihn Graf Wenzel als Stallmeister empfehlen. Das war ein schöner Gedanke. Jakobus hatte niemals Kinder gehabt, zumindest hatte keine der Mägde ihn angeklagt, und auch wenn er sie nicht im Stich gelassen hätte, es gab keine Liebe in seinem Leben, keine andere.
Ein neuerlicher Hustenanfall schüttelte ihn. Wie viel Zeit blieb ihm noch? Er rechnete nach. Als sie nach Falkenfried kamen, war Andres vielleicht zehn oder elf Jahre alt gewesen. Das war knapp zwanzig Jahre her.
Er zwinkerte bei dem Gedanken an den kleinen Jungen, der sich meist hinter den Pferdeställen rumgetrieben hatte und sich unbeobachtet glaubte. Caspar war heute nicht viel älter. Zu jung, um einen Hof zu übernehmen, wenngleich er mehr von dem zupackenden Wesen seiner Mutter und weniger von dem schwärmerischen seines Vaters abbekommen hatte. Resigniert hob er die Schultern. Er würde noch einiges von Margeths bitterer Medizin schlucken müssen, ehe Andres seinen Hof übergeben konnte.
Da erblickte er aus den Augenwinkeln den Saum eines ausladenden Rockes. Augenblicklich eilte er nach draußen. Sein Instinkt hatte ihn nicht getrogen. Seine Prinzessin eilte über den Hof. Die sorgfältig frisierte Perücke hing unordentlich auf ihrem Kopf und ihr Kleid war am Saum durchnässt. Sie schien all dies nicht zu bemerken.
Jakobus unterdrückte den Impuls, sie zu rufen, hatte Angst, sie aus ihrer Versunkenheit zu reißen. Stattdessen heftete er sich an ihre Fersen.
Jetzt erkletterte sie eine kleine Stiege, die auf eine Aussichtsplattform führte. Von hier aus konnte man über die Reste der alten Burgmauer hinweg die Ebene hinter dem Schloss überblicken.
Jakobus näherte sich immer weiter, roch bereits ihren Rosenduft, da sank sie mit einem Aufschrei in sich zusammen. Die wenigen Schritte nach oben stürmen und die Arme unter Amalias Haupt legen, waren eins. Er hielt sie, zitterte, und blickte zögerlich über die Zinnen.
*
Die unverhoffte Geburt seiner Tochter wirkte wie ein Jungbrunnen auf Wenzel. Er fühlte sich stark, gesund und jung wie seit Jahren nicht
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