Die Graefin der Woelfe
die Zofe rennt durchs Schloss und fragt jede Mutter, ob sie noch schenkt. Da kann man sich wohl eins und eins zusammenreimen. Meine Mutter hat’s immer gewusst, das wird noch übel enden.«
Unbemerkt war Dagomar hinter ihren Sohn getreten. Sie hob die Schultern und ihre Miene drückte echtes Bedauern aus. »Es tut uns leid, Margeth, wir können nicht helfen.« Mit Blick auf ihren Sohn zischte sie: »Mach die Tür zu, Schwachkopf, es zieht.«
Die Tür schlug zu. Erschüttert setzte sich Margeth auf den Kutschbock. Mit so viel Wut hatte sie nicht gerechnet. Sie überlegte, wer außerdem als Amme zur Verfügung stünde, doch auf die Schnelle wollte ihr niemand einfallen.
Resigniert gab sie die Order, schnurstracks zum Schloss zu fahren.
Im Schloss war Elena endlich vor Erschöpfung eingeschlafen. Die überforderte Lucia hatte ihr schließlich verdünnte Ziegenmilch mit Bier zu trinken gegeben, auch wenn sie wusste, dass dies bei Kleinkindern häufig zu Durchfällen führte. Lucia hatte sich ihren eigenen Sohn an die Brust gelegt, in der Hoffnung, durch das regelmäßige Saugen den Milchfluss wieder anzuregen. Allein der kleine Jelko wandte nach kurzer Zeit den Kopf beleidigt ab und sah seine Mutter vorwurfsvoll an. Dann schmiegte er sich an ihren Hals und schlief, ganz sein Vater, seelenruhig ein.
Margeth ließ für einen Augenblick das Bild von Lucia und den schlafenden Kindern auf sich wirken. »Wie ich sehe, habt ihr alles getan, was möglich und nötig war. Lass mich nach deinen Brüsten sehen, vielleicht haben wir Glück und die Milch schießt wieder ein.« Kurz darauf schüttelte sie den Kopf. »Das sieht nicht gut aus. Wir versuchen es dennoch mit Kräutern. Leg den Kleinen so oft an, wie es geht. Schmier etwas Honig auf die Brustwarzen, dann wird er lieber saugen.«
Sie hatte noch nicht zu Ende gesprochen, als das Mädchen bereits mit dem Tee und einem Topf voll Honig in die Kammer trat. Sogleich weckte Lucia ihren Sohn, der wenig später mit seligem Lächeln an den honigverschmierten Brüsten saugte.
»Jetzt bring mich zur Gräfin«, bat Margeth das Mädchen, das den Tee gebracht hatte.
Sie führte sie durch das Gewirr von Dienstbotengängen in des Grafen Privatbereich. Leise öffnete Margeth die Tapetentür. Sie erblickte ein Bild voller Innigkeit und Verzweiflung.
Die Gräfin schien in einer tiefen Starre gefangen. Ihre Augen lagen blicklos in den Höhlen, ihre Hände bewegten sich mechanisch, und ihr Mund formte ungehörte Worte. Amalia reagierte nicht auf ihr Eintreten, sie schien nicht einmal zu wissen, wo sie sich befand und was sie tat. Es war, als wäre sie von allem entrückt in einer gleichsam zeitlosen Welt gefangen.
Margeth wusste, dass sie sich schützte, dass ihr Zustand den Schmerz verdrängte und das Unausweichliche ausblendete.
Leise trat sie ans Bett, beugte ihr Knie und erfasste Amalias Hand, die unaufhörlich damit beschäftigt war, des Grafen Lippen zu netzen. Eine Woge Zärtlichkeit erfüllte sie und ohne zu wissen, was sie tat, presste sie Amalia einen Kuss auf die Innenseite ihrer Hand.
Der Knall einer Tür ließ sie zusammenfahren. Marijke stand plötzlich im Raum. Margeth spürte, wie ihre Wangen heiß wurden. Was hatte die Zofe gesehen? Hatte es überhaupt etwas zum Sehen gegeben?
Während sie noch gegen das Erröten ankämpfte, tat Marijke, als würde sie es nicht bemerken. Stattdessen beugte sie sich über die Gräfin und rief, viel zu laut und viel zu fröhlich: »Sehen Sie nicht, Frau Gräfin, die Wehmutter ist da.«
Keine Reaktion.
Marijkes Hilfe suchender Blick bohrte sich in Margeths Augen. Es lag ein Flehen darin, das sie jede Feindseligkeit und jeden Unmut vergessen ließ. Hier standen sie und mussten mit ansehen, wie die Frau, die sie beide so sehr schätzten, in grenzenlosem Elend versank. Margeth erhob sich und stellte sich auf Amalias linke Seite, während sich Marijke auf der rechten positionierte. Sie nickten sich zu und hoben die Gräfin gemeinsam aus dem Stuhl.
*
Amalias Aufmerksamkeit galt ihrem Gatten. Er lebte, und sie wartete darauf, dass er wieder erwachte. So lange wollte sie in seiner Nähe sein, seine Lippen benetzen, denn das war alles, was sie für ihn tun konnte. Er war hier, lag in seinem Bett und bewegte sich nicht. Ganz egal, was sie tat. Es tat weh, so weh, dass sie den Schmerz nicht spürte. Sie schloss die Augen und jedes Gefühl verließ sie.
Plötzlich wurde sie unter den Armen gepackt und aufgehoben. Sie wehrte sich
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