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Die Grasharfe

Titel: Die Grasharfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
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es ist besser, solche Dinge nicht zu zeigen, es belastet die Leute und macht sie, ich weiß nicht warum, unglücklich. Verena schilt mich für das, was sie Versteckspielen nennt, aber ich bin bange, die Menschen zu verwunden, wenn ich ihnen zeige, daß ich mir etwas aus ihnen mache. Wie damals Paul Jimsons Frau; als er krank wurde und das Altpapier nicht mehr abholen konnte, erinnert ihr euch, wie sie seine Arbeit übernahm? Das arme, kleine, dünne Ding, das sich unter diesem Papiersack schleppte. An einem kalten Nachmittag kam sie herauf in die Vorhalle, und ihre Nase lief, und ihre Augen tränten vor Kälte – sie setzte den Papiersack ab, und ich sagte: ‚Warte, ruh aus.' Ich nahm mein Taschentuch, um ihre Augen zu trocknen. Ich versuchte, ihr zu sagen, daß ich traurig war und daß ich sie liebte. Meine Hand streife leicht ihr Gesicht, sie wandte sich mit einem dünnen Schrei um und lief die Stufen wieder herunter. Von da an nahm sie das Papier nur auf der Straße entgegen, und immer, wenn ich das in der Vorhalle hörte, durchfuhr es mich."
      „Paul Jimsons Frau – kümmerst dich um so eine Schlampe!" schimpfe Catherine und spülte ihren Mund mit dem Rest des Weines. „Ich habe ein Glas mit Goldfischen gehabt – bloß weil ich die mag, darum liebe ich noch lange nicht die ganze Welt. Mögen tu ich allerhand, mein Herz! Kannst reden, was du willst, bringt nichts wie Kummer, bringt herauf, was besser begraben war, die Leute sollten mehr für sich behalten. Der tiefdrunterste, eigenste Teil von dir, das ist der gute Teil: Was bleibt übrig von einem menschlichen Wesen, wenn es herumläuf und über Privatsachen spricht? Der Richter, der sagte, wir sitzen hier oben – aus Not oder sonst was. Pöh! Sehr gute Gründe haben wir, daß wir hier sind. Erstens unser Baumhaus ist das. Numero zwei, ‚Jene' und der Jude möchten stehlen, was uns gehört. Drei, du hier, wir hier, weil wollen hier sein – der tiefdrunterste Teil sagt euch das. Für mich gilt das nicht. Ich mag ein Dach über meinem Kopf. Dollyherz, gib dem Richter einen Teil von der Decke da – der Mann bibbert wie am Abend vor Allerheiligen."
    Schüchtern hob Dolly einen Zipfel ihrer Decke und nickte ihm zu; der Richter, ganz und gar nicht schüchtern, schlüpfte darunter. Die Äste des Paternosterbaumes schwangen wie riesige Ruder, die in einen See tauchen, aufgewühlt und fröstelnd im Licht der fernen, fernen Sterne. Alleingelassen saß Riley in sich gekauert da, wie ein elendes Waisenkind. „Kuschel dich, Dickkopf! Du hast kalt wie wir", sagte Catherine und bot ihm den Platz zu ihrer Rechten an, den ich an ihrer linken Seite einnahm. Er schien es nicht recht zu wollen; mag sein, daß er bemerkte, daß sie wie Nieswurz roch, vielleicht auch, hielt er es für weibisch, aber ich riet ihm: „Nur zu, Riley; Catherine ist gut und warm, besser als eine Decke." Nach einer Weile rückte Riley an uns heran. Es war so lange still, daß ich dachte, alle wären eingeschlafen. Dann fühlte ich, wie Catherine erstarrte. „Grad ist mir aufgegangen, wer mir den Brief geschickt hat, nämlich Bill Niemand. ‚Jene', die war es. So wahr ich Catherine Creek heiße, die hat einen Nigger in Miami geangelt, mir den Brief mit der Post zu schicken, dachte, ich würde von hier ausreißen, kein Mensch würde mehr was von mir hören." Dolly murmelte schläfrig: „Pscht, pscht, still, mach die Augen zu. Wir brauchen nichts zu fürchten; wir haben Männer, die für uns wachen." Ein Zweig schwang zurück, Mondlicht durchfutete den Baum. Ich sah, wie der Richter Dollys Hand nahm. Das war das letzte, was ich sah.

IV

    R iley war der erste, der erwachte, und er weckte mich. Ohnmächtig erblichen am Horizont drei morgendliche Sterne in der plötzlichen Flut des Sonnenaufgangs. Tau blitzte wie Flitter auf den Blättern, eine nachtschwarze Kette von Amseln schwang sich empor in das rasch steigende Licht. Riley winkte mir, mit ihm zu kommen; wir schlüpfen lautlos aus dem Baum. Die mit Inbrunst schnarchende Catherine hörte nicht unseren Aufruch, noch hörten ihn Dolly und der Richter, die Wange an Wange schliefen wie zwei Kinder, die sich in einem verwunschenen Wald verirrt haben.
       Wir hielten auf den Fluß zu, Riley führte, die Hosenbeine seiner Segeltuchhose raschelten aneinander. Hin und wieder stand er still und reckte sich, als ob er lange in der Eisenbahn gefahren sei. Irgendwo stießen wir auf einen Hügel roter Ameisen, auf dem jetzt schon geschäfiges Leben

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