Die Grasharfe
Tier, wie ein Kaninchen, das man gerade aus der Falle genommen hat. Der Richter sah mit demütigen Blicken herüber, und seine Hände tappten umher. Anscheinend meinte er vielleicht, daß er schuldig sei uns gegenüber, weil er Catherines Mißgeschick nicht hatte verhindern können. Aber was hätte er schon tun können? Wenn er ihr Beistand geleistet hätte, wäre er selbst verhafet worden; der Sheriff und Big Eddie Stover und die anderen spaßten nicht. Der einzig Schuldige war ich. Wenn Catherine mich nicht gesucht hätte, dann hätte man sie nicht weggeschleppt. Ich erzählte, was sich im Grasfeld zugetragen hatte.
Aber Dolly wollte eigentlich gar nichts davon wissen. Als wenn sie einen Traum scheuchte, schlug sie ihren Schleier zurück. „Ich möchte glauben, daß Catherine nicht mehr da ist; ich kann es aber nicht glauben. Wenn ich könnte, würde ich laufen, um sie zu fnden. Ich möchte glauben, daß Verena das alles getan hat; ich kann es aber nicht glauben. Collin, was meinst du: Ist das alles so, weil die Welt böse ist? Letzte Nacht – da sah ich es ganz anders."
Der Richter senkte seinen Blick in den meinen; er versuchte wohl, mir zu bedeuten, was ich antworten solle. Aber das wußte ich selbst. Aus welchen Leiden auch die Welt zusammengesetzt ist – alle Eigenwelten sind gut, sie sind niemals unbewohnbar und gewöhnlich. Dolly war in sich zu verfeinert; das eine, was sie mit Catherine und mir teilte, war, daß sie die Winde des Bösen, die ringsum wehten, spürte: „Nein, Dolly, die Welt ist kein schlimmer Ort." Sie strich sich mit der Hand über die Stirn. „Wenn du recht hast, dann wird Catherine im nächsten Augenblick unter dem Baum zu sehen sein; dich und Riley hat sie nicht gefunden, aber sie wird zurückgekehrt sein." „Übrigens", fragte der Richter, „wo ist Riley?"
Riley war mir vorausgelaufen, das war das letzte, was ich von ihm gesehen hatte. Mit einem Schrecken, der uns gleichzeitig überfel, erhoben wir uns, der Richter und ich, und begannen, laut seinen Namen zu schreien. Unsere Rufe, die langsam durch die Wälder hallten, erstarben immer wieder in der Stille. Ich wußte, was geschehen war; er war in einen alten Indianerbrunnen gestürzt, ich wußte von mehr als einem solchen Fall. Schon wollte ich diese Vermutung äußern, als der Richter den Finger auf die Lippen legte. Der Mann mußte so scharfe Ohren haben wie ein Hund, denn ich konnte noch keinen Laut hören. Er hatte recht, jemand war auf dem Weg. Es stellte sich heraus, daß es Maude Riordan und Rileys ältere Schwester, die hübsche Elizabeth, waren. Sie waren nahe Freundinnen und hatten die gleichen weißen Sweater an. Elizabeth trug einen Geigenkasten.
„Schau her, Elizabeth", rief der Richter, und die Mädchen erschraken, denn bis jetzt hatten sie uns noch nicht entdeckt. „Kind, hast du deinen Bruder gesehen?" Zuerst erholte sich Maude, und sie war es, die antwortete: „Ja, gewiß, wir sahen ihn", sagte sie mit Nachdruck. „Ich habe Elizabeth aus ihrer Stunde heimbegleitet, als Riley mit einem Tempo von neunzig Meilen daherkam; er rannte uns beinahe um. Du solltest eigentlich reden, Elizabeth. Jedenfalls bat er uns, hier hinunterzugehen und euch zu sagen, ihr möchtet euch nicht sorgen, er würde später alles erklären. Oder was er sonst damit meinte."
Maude und Elizabeth waren beide in meiner Klasse gewesen, hatten einen Kursus übersprungen und sollten schon im kommenden Juni ihre Prüfung machen. Besonders Maude kannte ich gut, denn einen Sommer lang hatte ich Klavierstunden bei ihrer Mutter genommen; ihr Vater gab Violinstunden, und Elizabeth Henderson war eine von seinen Schülerinnen. Maude spielte ausgezeichnet Geige; gerade vor einer Woche hatte ich im Stadtblatt gelesen, daß sie aufgefordert worden war, für das Radio in Birmingham zu spielen. Ich freute mich darüber. Die Riordans waren nette Leute, rücksichtsvoll und fröhlich. Nicht weil ich Klavier spielen wollte, nahm ich diese Stunden bei Mrs. Riordan – ich mochte vielmehr ihre blonde Molligkeit, die sympathische und gebildete Art ihrer Unterhaltung, während wir vor dem prächtigen Klavier saßen, das nach Politur und feinen Sitten roch; und was ich ganz besonders liebte, war, wenn Maude mich dann später zu einer Limonade in die rückwärts gelegene kühle Halle bat. Sie hatte eine Stupsnase und kleine Elfenohren, sie war ein mageres, reizbares Mädchen, das von ihrem Vater die schwarzen irischen Augen geerbt hatte und
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