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Die Grasharfe

Titel: Die Grasharfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
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Gipsverband zu tragen, der, wie er prahlte, mindestens hundert Pfund wog. Da er darum seinen Wagen nicht mehr lenken oder einen Nagel ordentlich einschlagen konnte, blieb ihm nicht viel anderes übrig, als herumzulungern und zu brüten.
       „Wenn du Riley sehen willst", meinte Elizabeth, „dann fndest du ihn draußen im Schuppen. Ich glaube, Maude ist auch dort."
       „Maude Riordan?" Ich hatte Grund, erstaunt zu sein, denn wenn ich Riley gelegentlich besuchte, betonte er, daß wir im Schuppen sitzen müßten; dort würden uns die Mädchen nicht belästigen, denn da war, so verkündete er, die Schwelle, die kein weibliches Wesen überschreiten dürfe.
       „Liest ihm was vor. Gedichte, Dramen. Maude ist einfach anbetungswürdig, obgleich mein Bruder sie nie mit dem üblichen menschlichen Anstand behandelt hat. Aber sie sagt, was vorbei ist, ist vorbei. Ich meine, wenn man so dicht am Sterben war, wie er es war, ich glaube, das ändert einen Menschen, macht ihn empfänglicher für die schönen Dinge. Um diese Zeit läßt er sich immer von ihr vorlesen."
       Der Schuppen lag, von Feigenbäumen beschattet, rückwärts im Hof. Plymouthhennen wackelten wie Matronen über seine Türstufen und pickten die Sonnenblumenkerne aus dem letzten Sommer auf. Über der Tür stand ein halb verblichenes Wort wie ein Kinderschreck auf der gekalkten Mauer: Hüte Dich! Es machte mich scheu. Hinter der Tür hörte ich Maudes Stimme, ihre Lesestimme, ein ersterbender Singsang, den gewisse Flegel in der Schule mit Vorliebe nachmachten. Jedermann, der erfahren hätte, daß es mit Riley Henderson so weit gekommen sei, hätte gesagt, daß er seit dem Sturz von der Sykomore nicht mehr richtig im Kopf sei. Verstohlen spähte ich durch das Fenster des Schuppens und konnte einen Blick auf ihn werfen; er war darein vertief, ein Uhrwerk auseinanderzunehmen und, nach seinem Ausdruck zu urteilen, lauschte er auf kein erhebenderes Geräusch als auf das Summen einer Fliege; er bohrte sich kitzelnd einen Finger ins Ohr, als ob ihn dort etwas störte. Und gerade in dem Augenblick, als ich mich entschloß, sie durch ein Klopfen an der Fensterscheibe aufzuschrecken, schob er das Uhrwerk beiseite, trat hinter Maude und schloß das Buch, aus dem sie vorlas. Mit einem Grinsen zog er sie an den Flechten ihres Haares; sie erhob sich wie ein Kätzchen, das man an seinem Nackenfell packt. Es war so, als ob das Licht sie säumte mit einem Glanz, der meinen Augen wehe tat. Man sah, es war nicht das erste Mal, daß sie sich küßten.
       Es war noch keine Woche her, daß ich Riley, wegen seiner Erfahrung in solchen Belangen, mein Vertrauen geschenkt hatte. Ich gestand ihm meine Gefühle für Maude: „Bitte hör zu."
       Ich wünschte mir jetzt, ein Riese zu sein, der den Schuppen mit beiden Armen umklammern und ihn zersplittern könnte, der die Tür eintreten könnte, um sie beide öfentlich bloßzustellen. Aber – welcher Vergehen konnte ich Maude bezichtigen? Unbekümmert darum, wie schlecht sie manchmal über Riley sprach, hatte ich immer gewußt, daß ihr Herz ihm gehörte. Es war ja nicht so gewesen, daß wir beiden jederzeit in bestem Einvernehmen waren; meistens waren wir gute Freunde gewesen, in den letzten Jahren aber nicht einmal das. Als ich durch den Hof zurückging, gackerten die prunkhafen Plymouthhennen höhnisch hinter mir her.
       Elizabeth fragte: „Du bist nicht lange dort gewesen. Waren sie denn nicht da?"
       Ich erklärte ihr, daß ich es nicht für richtig hielt, sie zu stören. „Sie waren vollauf mit anderen, schöneren Dingen beschäfigt."
       Aber Elizabeth hatte keine sarkastische Ader; sie war, ungeachtet des Feingefühls, das ihre seelenvolle Erscheinung versprach, eine Person, die alles durchaus wörtlich nahm. „Ist das nicht wunderbar?"
       „Wunderbar."
       „Collin – um Himmels willen, warum ziehst du's immer in deiner Nase hoch?"
       „Hat nichts zu bedeuten. Ich hab mich erkältet."
       „Schön, ich hofe nicht, daß dich das von unserem Fest abhält. Nur mußt du unbedingt ein Kostüm haben. Riley kommt als Teufel."
       „Das ist höchst passend."
       „Dich möchten wir natürlich als Skelett verkleidet sehen. Ich weiß, es ist nur ein Tag bis dahin …"
       Ich hatte nicht die Absicht, auf das Fest zu gehen. Sobald ich zu Hause war, setzte ich mich nieder, um Riley einen Brief zu schreiben: Lieber Riley … Lieber Henderson. Ich strich das ‚Lieber' aus. Einfach

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