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Die Grasharfe

Titel: Die Grasharfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
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Lampenlichter an, die Jahre hindurch nicht benutzt worden waren. Mit Schüttelfrost saß ich in meinem verdorbenen Kostüm in der voll erleuchteten Eingangshalle und teilte eine Bank mit dem Richter. Er war sofort gekommen und hatte einen Regenmantel über sein Flanellnachthemd geworfen. Immer wenn Verena erschien, verbarg er seine nackten Beine unter dem Mantel, keusch wie ein junges Mädchen. Nachbarn kamen, herbeigelockt von unseren erleuchteten Fenstern, und flüsterten sanfte Fragen. Verena gab an der Haustür Auskunf: ihre Schwester, Miß Dolly, habe einen Schlaganfall erlitten. Doktor Carter ließ keinen von uns in das Zimmer, und wir nahmen es hin, sogar Catherine, die, nachdem sie das letzte Licht hatte aufeuchten lassen, an Dollys Tür stand und die Stirn gegen sie lehnte.
    In der Halle war ein Garderobenständer mit mehreren Sprossen und einem Spiegel. Dort hing Dollys Samthut, und als gegen Sonnenaufgang ein leichter Morgenwind durch das Haus blies, spiegelte sich Dollys fügelschlagender Schleier in ihm.
    Da wußte ich so genau wie nur irgend etwas, daß Dolly uns verlassen hatte. Vor einigen Augenblicken hatte sie sich unbemerkt weggeschlichen, und in meiner Vorstellung folgte ich ihr. Sie überquerte den Platz, sie kam an der Kirche vorbei, und jetzt hatte sie den Hügel erreicht. Das Präriegras glühte unter ihr auf; sie hatte es nicht weit bis dorthin.

    Ich machte mit dem Richter Cool im nächsten September einen Spaziergang. Während der letzten Monate waren wir uns selten begegnet. Einmal trafen wir uns auf dem Platz, und da bat er: „Komm und besuch mich, wann immer du's gerade willst." Ich hatte das auch vor, aber jedesmal, wenn mich mein Weg an Miß Beils Pension vorbeiführte, schlug ich eine andere Richtung ein.
       Ich habe gelesen, daß Vergangenheit und Zukunf eine Spirale seien, ein Umlauf enthalte den nächsten und sage das mit ihm Geplante voraus. Vielleicht ist es so; aber mein eigenes Leben schien mir mehr eine Folge von in sich geschlossenen Kreisen zu sein, von Ringen, die sich nicht mit der Freiheit einer Spirale abwickeln. Mir gelingt es nur durch einen Sprung, von dem einen in den anderen zu kommen, nicht durch den gleitenden Schwung. Was mich erschlaf in dem Übergang, ist die Windstille, die Erwartung vor dem Augenblick, in dem ich weiß, wohin zu springen ist. Nachdem Dolly tot war, streunte ich lange Zeit herum.
       Mein einziger Wunsch war, es möglichst gut zu haben. Ich lungerte in Phils Cafe herum und verdiente mir mein Bier an einem Billardautomaten. Es war nicht erlaubt, mir Bier auszuschenken, aber Phil dachte daran, daß ich früher oder später Verenas Geld erben würde und ihm dadurch ein Hotel ermöglichen könnte. Ich glättete mein Haar mit Brillantine und jagte auf die Tanzvergnügen in anderen Städtchen, leuchtete spät nachts mit der Taschenlampe Mädchen ins Fenster und warf Steinchen gegen die Scheiben. Ich kannte draußen einen Neger, der einen selbstgebrannten Gin verkaufe, den sogenannten ‚Gelben Teufel'. Jedem Autobesitzer machte ich den Hof.
       Alles nur darum, weil ich keinen wachen Augenblick im Talbohaus verbringen wollte. Dort war eine unbewegliche, eine stehende Luft. Fremde ergrifen Besitz von der Küche, ein taubenfüßiges farbiges Mädchen sang dort den ganzen Tag mit dem zagen Singsang von Kindern, die sich in einer unheimlichen Umgebung Mut machen wollen. Sie war eine betrübliche Köchin. Sie ließ das Küchen-Geranium eingehen. Ich hatte Verena empfohlen, sie zu dingen. Ich dachte, das würde Catherine wieder zur Arbeit anhalten.
       Doch im Gegenteil: Catherine zeigte kein Interesse daran, das neue Mädchen anzulernen. Denn sie hatte sich ganz in ihr Häuschen in ihrem Gemüsegarten zurückgezogen. Das Radio hatte sie mitgenommen, und sie fühlte sich wohl dabei: „Ich habe die Last von mir geworfen, und ich bin angelangt. Ich bin fürs Ausruhen", brummte sie. Das Ausruhen machte sie fett, ihre Füße schwollen an, sie mußte Schlitze in ihre Schuhe schneiden. Sie ahmte Dollys Lebensgewohnheiten in übertriebener Weise nach, zum Beispiel die Begierde nach Süßigkeiten; der Drugstore lieferte ihr die Mahlzeiten, zwei Viertelliter Eiscreme; Bonbontüten raschelten in ihren Kleidertaschen. Ehe sie dazu zu fett wurde, bestand sie darauf, sich in die Kleider hineinzuquetschen, die Dolly gehört hatten; es war, als wolle sie dadurch der Freundin nahe sein.
       Wir besuchten uns nur ausnahmsweise, und ich tat es ungern,

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