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Die Grasharfe

Titel: Die Grasharfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
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immer auch geschähe, sie wünschte sich nur, bleiben zu dürfen. „Weckt mich nicht auf ", murmelte sie, „ich will das Meer nicht sehen."
       Gegen Ende der Woche konnte sie in ihrem Bett aufsitzen; ein paar Tage später war sie kräfig genug, um die Korrespondenz mit den Kunden für ihre Tropfenkur wieder aufzunehmen. Sie grämte sich über den Stoß unbearbeiteter Bestellungen, der sich angehäuf hatte. Aber Catherine, die sich das Verdienst an Dollys Besserung zuschrieb, sagte: „Pöh! Keine Frage, daß wir bald wieder draußen sind und unseren Trank brauen."
       Jeden Nachmittag, pünktlich um vier Uhr, erschien der Richter an der Gartentür und pff mir, damit ich ihn einließ; dadurch, daß er die Gartentür benutzte und nicht die Haupttür, schränkte er die Möglichkeit ein, Verena zu begegnen. Es war nicht etwa so, daß sie etwas gegen seine Besuche einzuwenden hatte; im Gegenteil, sie war klug genug, für diese Besuche eine Flasche Sherry und ein Kistchen Zigarren bereitzustellen. Gewöhnlich brachte er Dolly ein Geschenk mit, Kuchen aus der Bäckerei zur Heuschrecke, oder Blumen, bronzebraune, kugelrunde Chrysanthemen, die Catherine schleunigst entfernte, da es ihre Teorie war, daß Blumen die Luf verbrauchten. Catherine erfuhr niemals, daß er sich Dolly erklärt hatte; aber sie empfand die Situation als nicht ganz gehörig, benahm sich bei den Besuchen des Richters als eine wachsame Anstandsdame und führte die Unterhaltung größtenteils selbst, während sie den für ihn bestimmten Sherry schlürfe. Aber ich vermute, daß weder Dolly noch der Richter sich etwas mitzuteilen wünschten, das privater Natur war. Sie nahmen sich gegenseitig ohne jede Erregung hin, wie das zwischen Menschen zu sein pf legt, deren Zuneigung beständig geworden ist. Wenn er in anderer Richtung ein enttäuschter Mann war, so war er das nicht Dollys wegen, denn ich glaube, sie wurde für ihn das, was er gewollt hatte, der einzige Mensch auf der Welt – dem man alles sagen konnte und von dem er damals gesprochen hatte. Aber wenn alles gesagt werden kann, ist vielleicht nichts mehr zu sagen. Er saß neben ihrem Bett, zufrieden, da sein zu dürfen, und erwartete nicht unterhalten zu werden. Of schlief sie, betäubt durch ihr Fieber, plötzlich ein; und wenn sie im Schlaf wimmerte oder murrte, weckte er sie auf und hieß sie willkommen mit einem morgenheiteren Lächeln.
       Früher hatte es uns Verena nicht erlaubt, ein Radio anzuschafen; feile Melodien, entschied sie, brächten den Geist in Unordnung, und überdies müßte man auch noch die Ausgabe bedenken. Dem Doktor Carter gelang es, sie davon zu überzeugen, daß Dolly ein Radio haben müßte; er meinte, es würde ihr bei der langen Genesungszeit, die er voraussah, helfen. Verena kaufte also eines und zahlte dafür einen hohen Preis; aber es war ein häßlicher Kasten mit einer roh polierten Haube. Ich nahm ihn in den Hof hinunter und malte ihn rosa an. Selbst dann war Dolly nicht sicher, ob sie ihn in ihrem Zimmer haben wollte; aber später wollte sie nicht mehr von ihm lassen. Catherine und sie ließen ihn dauernd spielen; man hätte Eier darin ausbrüten können, so heiß lief er sich. Beide bevorzugten die Sendungen über Fußballwettspiele. „O bitte nicht", bat Dolly den Richter, als er versuchte, ihr die Spielregeln zu erklären. „Ich liebe das Geheimnisvolle daran. Jedermann schreit aus vollem Hals, und die Zeit geht herrlich vorbei. Wenn ich wüßte warum, dann würde es nicht mehr so stark und glücklich klingen." Anfänglich war der Richter etwas verärgert, weil er Dolly nicht dazu bringen konnte, sich für eine der beiden Mannschafen zu begeistern. Sie meinte, beide Seiten sollten gewinnen: „Es sind doch alles reizende Burschen, das ist doch ganz klar."
       Catherine und ich hatten eines Nachmittags einen Wortwechsel in bezug auf das Radio. An diesem Nachmittag spielte Maude Riordan in einer Sendung der staatlichen Musikpreisbewerbung. Natürlich wollte ich das hören, aber Catherine hatte auf ein Städtewettspiel eingestellt und ließ mich nicht an das Radio heran. Ich protestierte: „Was ist mit dir los, Catherine? Immer unzufrieden, immer selbstsüchtig, immer muß es nach deinem Kopf gehen. Du bist ja schlimmer geworden, als Verena es jemals war." Es schien wirklich, als wolle sie die Einbuße an Ansehen, die sie durch ihren Zusammenstoß mit den Gesetzen erlitten hatte, durch verdoppelte Herrschsucht im Talbohaus wettmachen; wir

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