Die Grauen Herrscher
für manchen nur ein unbekannter Patient war. Alle taten ihre Pflicht – ganz besonders die Oberschwester, die mit bleichem Gesicht ihre Arbeit verrichtete, beherrscht und konzentriert, als ob es sich bei dem Patienten auf dem Operationstisch um einen Fremden handelte, dem der Blinddarm herausgenommen wurde. Sie hielt durch – solange es nötig war.
Erst hinterher, als man für Kinnison nichts mehr tun konnte, brach sie zusammen und erlitt in den folgenden Tagen einige derart heftige hysterische Anfälle, daß man ihr Beruhigungsspritzen gab und sie ins Bett schickte. Sie durfte Kinnison erst wiedersehen, als man ihn im Flotten-Hauptquartier in einer Sonderabteilung des Krankenhauses untergebracht hatte. Aber auch Lacy überstand die Operation nicht ohne Nachwirkungen; er suchte Zuflucht bei einigen Gläsern Brandy.
Als man sich nach vielen Wochen entschloß, Kinnison aus seiner Trance zu erlösen, war es Clarissa, die ihn wecken durfte. Sie hatte sehr um dieses Privileg gekämpft, das sie als ihr natürliches Recht ansah.
»Wach auf, Liebling«, sagte sie leise. »Das Schlimmste ist überstanden. Du machst gute Fortschritte.«
Der Freie Lens-Träger kam sofort zu sich, und augenblicklich kehrte auch die Erinnerung an die Geschehnisse vor der Operation zurück. Er fuhr zusammen und machte sich darauf gefaßt, wieder einen Nervenblock gegen die unerträglichen Schmerzen errichten zu müssen, die ihn so lange heimgesucht hatten – doch zu seiner Freude war das nicht erforderlich. Zum erstenmal seit langer Zeit war er schmerzfrei, und er entspannte sich erleichtert.
»Ich freue mich ja so, daß du wieder bei Bewußtsein bist, Kim«, fuhr Clarissa fort. »Ich weiß natürlich, daß du nicht mit mir sprechen kannst, denn wir können deinen Kinnverband erst in einigen Tagen abnehmen. Und du kannst dich auch nicht auf gedanklichem Wege mit mir in Verbindung setzen, weil deine neue Lens noch nicht fertig ist. Aber ich kann mit dir sprechen und du kannst zuhören. Bitte sei nicht entmutigt, Kim. Laß dich nicht unterkriegen. Ich liebe dich noch ebenso wie vorher, und wenn du wieder sprechen kannst, werden wir heiraten. Ich werde mich um dich kümmern ...«
»Ich glaube, dein Mitleid habe ich nicht nötig«, unterbrach er sie mit einem heftigen Gedanken. »Du hast es zwar nicht gesagt, aber ich habe es deutlich aus deinen Worten herausgelesen. Ich bin nicht halb so hilflos, wie du anzunehmen scheinst. Ich kann mich noch immer verständlich machen, und ich kann ebensogut, wenn nicht besser sehen als vorher. Und wenn du glaubst, daß ich mich von dir heiraten lasse, damit du mich bemuttern kannst, bist du verrückt!«
»Du bist ja im Delirium! Wahnsinnig bist du ...!« fuhr das Mädchen auf und hielt sich dann mühsam im Zaum. »Vielleicht kannst du dich ohne Lens mit einem anderen Menschen in Verbindung setzen – na ja, das hast du ja eben auch getan –, aber daß du sehen kannst, Kim, das glaube ich nicht. Ich weiß, daß du es nicht kannst. Deine Verbände sind absolut dicht.«
»Ich kann nur wiederholen, daß ich dich so deutlich sehe, als ob ich keinen Verband um den Kopf hätte«, erwiderte er. »Diese neue Fähigkeit ist mir bei meinem zweiten Besuch auf Arisia verliehen worden und stellt vielleicht sogar Tregonsees Wahrnehmungssinn in den Schatten. Ich werde es dir beweisen. Du siehst abgemagert und besorgt aus. Du hast zuviel gearbeitet – meinetwegen.«
»Das ist reine Vermutung«, gab sie zurück. »Das hast du erraten können.«
»Na gut. Und was ist mit den Rosen dort drüben auf dem Tisch? Weiß, gelb und rot – mit etwas Grünzeug dazwischen?«
»Vielleicht hast du sie gerochen«, erwiderte Mac zweifelnd.
»Nun, ich kann sie ja noch zählen und ... Aber ich habe etwas Besseres! Das kleine Medaillon, das du um den Hals trägst. Das kann ich nicht riechen, und das Bild darin ...« Verwirrt hielt Kinnison inne. »Aber das ist ja mein Bild, bei Klonos Barthaaren! Mac, woher hast du das Bild? Und was soll das?«
»Admiral Haynes hat es mir gegeben. Und ich trage es, weil ich dich liebe – wie ich schon gesagt habe.« Clarissa MacDougall wußte jetzt, daß Kim tatsächlich sehen konnte und daß seine Situation also weitaus günstiger war, als sie angenommen hatte. Eine Zentnerlast fiel ihr vom Herzen. Aber es war offensichtlich, daß sie auf einem anderen Gebiet die Initiative übernehmen mußte – die Gelegenheit war günstig.
»Und nicht nur das«, fuhr sie fort, »ich werde dich auch heiraten,
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