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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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verscheuchen, wenn sie sich einmal eingenistet hatten. War Anissas devonisische Familie nicht irgendwie mit König Hesper von Jellon verwandt, dem Mann, der Brionys Vater an Hierosol verraten hatte?
    Gailon, Rorick Longarren, die Gemahlin ihres Vaters — sie konnte an keinen von ihnen mehr ohne Argwohn denken.
Das ist es, was Mord anrichtet,
dachte sie. Sie war jetzt an der Tür zum Kronratssaal und wartete darauf, angekündigt zu werden. Barrick saß schlaff in einem der hohen Sessel am Kopfende des Tischs, die Arme um den Oberkörper geschlungen, als sei ihm kalt, und sein Gesicht in dem schwarzen Pelzkragen war noch blasser als sonst.
Er schafft nicht nur ein Phantom, sondern Hunderte.
    Früher waren diese Hallen voller Menschen, die ich kannte, auch wenn ich sie vielleicht nicht alle mochte. Jetzt ist das Haus voller Dämonen und Gespenster.

    Wartet, bis ich Euch aufrufe,
befahl Avin Brones Botschaft. Auch ohne das Wolfswappen der Eddons und Brones eigenes Siegel unter den Worten wären die dicken, schwarzen Federstriche des Konnetabels unverkennbar gewesen.
    Ferras Vansen, in seinem besten Waffenrock, wartete ganz am Rand des Kronratssaals, gleich an der Tür, flankiert von zweien seiner Männer. Zwei weitere Garden standen draußen in der Halle mit dem Mann, den sie dem Kronrat vorführen wollten. Der Ratssaal, wegen des mächtigen Holztischs in der Mitte auch Eichensaal genannt, war ein alter Raum, der einst, in den gefährlichen Zeiten der marodierenden Grauen Scharen, die Schatzkammer der Burg gewesen war, ein großes, aber fensterloses Gelaß mit nur zwei Türen, das in dem Labyrinth von Gängen hinter dem Thronsaal lag. Der Hauptmann der königlichen Garde hatte diesen kargen, trutzigen Raum nie sonderlich gemocht: Es war die Sorte Raum, die als letzte Bastion gedacht war, als Ort grausigen Heldentums im Angesicht der Niederlage und des Verderbens.
    Der Gardehauptmann hatte sich zunächst geärgert, daß der Konnetabel seine Neuigkeit so geringschätzig behandelte, sie ganz ans Ende einer langen Ratssitzung schob, in der es um viel trivialere Dinge ging. Doch als eine Stunde verging und dann noch eine, glaubte Vansen, Brones Absicht zu verstehen. Es waren nun schon viele Tage vergangen seit Prinz Kendricks Ermordung — einem Verbrechen, das für die meisten Menschen in Südmark immer noch keine Erklärung hatte, wenn auch der Mörder selbst gefaßt war. Die Regierungsgeschäfte waren seither weitgehend vernachlässigt worden, und viele Angelegenheiten hatten schon vor dem Tod des Prinzregenten dringend der Entscheidung geharrt. Wenn Vansen seine Neuigkeit als erstes hätte vorbringen dürfen, hätte womöglich keine dieser anderen Angelegenheiten mehr Beachtung gefunden.
    Also wartete er — aber es war nicht leicht.
    Er ließ den Blick über das Dutzend Edelleute schweifen, das die heutige Ratsrunde bildete, und vertrieb sich die Zeit damit, sich vorzustellen, wie dieser oder jener die königlichen Zwillinge anzugreifen versuchte und wie er dem jeweils begegnen würde. Die Edelleute wirkten gelangweilt, dachte Vansen. Ihnen schien nicht klar zu sein, daß Langeweile nach den Ereignissen der jüngsten Zeit ein Privileg war, ja, vielleicht sogar ein Luxus, den sich niemand leisten konnte.
    Vansen dachte weiter, daß der junge Prinz Barrick noch immer sehr krank aussah. Aber vielleicht war der Junge ja einfach nur gramgezeichnet. Warum auch immer, er schenkte den Regierungsgeschäften jedenfalls nicht gerade volle Aufmerksamkeit. Während Angelegenheit um Angelegenheit zur Sprache kam — der Pachtzins für königliche Ländereien, der neu festgesetzt werden wollte, offizielle Beileidsbotschaften aus Talleno, Sessio und Perikal, die es anzuhören galt, wichtige Grundstreitigkeiten, die vom Schöffen- oder Tempelgericht zur endgültigen Entscheidung weiterverwiesen worden waren — schien der junge Prinz kaum zuzuhören. In den meisten Fällen wartete er einfach nur, daß Briony etwas sagte, um dann zustimmend zu nicken, und rieb sich dabei die ganze Zeit den verkrüppelten Arm, den er wie ein Hündchen im Schoß hielt. Erst eine Frage Nynors, des Burgvogts, schien den Jungen aus seiner Lethargie zu reißen und einen Funken in seinen Augen zu entzünden: Nynor wollte wissen, wie lange der hierosolinische Gesandte Dawet-dan-Faar noch am Hof bleiben würde, da der Haushaltssäckel nur vierzehn Tage vorgesehen hatte. Doch obwohl ihn das ganz offensichtlich interessierte, wurde Barrick nur noch stiller und

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