Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
angelächelt und Kendrick die Stiefel geküßt hat, bis wir eines Morgens aufwachten und feststellen mußten, daß sein Herr, König Hesper, Vater an Hierosol verraten hatte. Ich hätte Angelos eigenhändig umgebracht, wenn er nicht bereits einen Jagdausflug vorgeschützt und sich wieder nach Jellon abgesetzt hätte. Aber solange wir sie nicht bei etwas Unrechtem ertappen, nehmen wir diese Leute auf uns. Das nennt man Staatskunst.«
    »Aber ... sprecht Ihr wirklich nur deshalb mit ihm?« Moina war hartnäckig, sie ignorierte Roses Rippenstöße. »Nur wegen der ... Staatskunst?«
    »Fragst du, ob ich ihn treffe, weil ich ihn anziehend finde?«
    Moina wurde rot und schlug die Augen nieder. Brionys zweite Jungfer hatte ebenfalls Mühe, ihr in die Augen zu sehen. »Ich kann ihn auch nicht leiden«, gestand Rose.
    »Ich habe nicht vor, ihn zu heiraten, falls es das ist, was euch beschäftigt.«
    »Hoheit!« Ihre Jungfern waren schockiert. »Natürlich nicht!«
    »Ja, er sieht gut aus. Aber er ist beinah so alt wie mein Vater, vergeßt das nicht. Mich interessiert, was er zu erzählen hat, von all den Orten, wo er gewesen ist, von Xand, wo er geboren ist, diesem südlichen Kontinent mit seinen Wüsten, und vom alten Hierosol mit all seinen Ruinen.« Ihre Jungfern musterten sie mit der Miene junger Frauen, die Reisen in fremde Länder mit nichts anderem verbanden als mit Mühsal und der Gefahr, Räubern und Mädchenschändern in die Hände zu fallen. Sie wußte, sie würden ihren Drang, etwas über die Welt jenseits dieser feuchtkalten, düsteren Festung zu erfahren, nie verstehen. »Aber vor allem interessiert mich natürlich, was Dawet über Shaso zu erzählen hat. Der ja, wie ihr euch vielleicht entsinnt, in Ketten liegt, weil er allem Anschein nach meinen Bruder ermordet hat. Ist es für euch akzeptabel, daß ich zu begreifen versuche, warum Prinz Kendrick ermordet wurde?«
    Rose und Moina stammelten Entschuldigungen, aber Briony wußte, sie war nicht ganz ehrlich gewesen. Es war nicht nur die Bewunderung, die sie für Dawet empfand, weil er so viel erlebt und gesehen hatte. Da war noch mehr, wenngleich sie nicht wußte, was. Sie war kein dummes, junges Ding, das sich in ein ansprechendes Gesicht verguckte, sagte sie sich. Aber irgend etwas an diesem Mann interessierte sie wirklich, und sie räumte ihm mehr Platz in ihren Gedanken ein, als sie hätte sollen, fragte sich immer wieder, was er von ihr und ihrem Hof hielt.
    Er hätte mich bedenkenlos zu diesem Ludis verschleppt,
rief sie sich in Erinnerung.
So einer ist er. Wenn Kendrick es einen Tag früher verkündet hätte, wäre ich jetzt auf halbem Weg nach Hierosol, zu meinem künftigen Gemahl, dem Protektor.
    Plötzlich wurde es ihr bewußt: Da Kendrick am Ende gewiß beschlossen hätte, sie um des Königreiches willen Ludis zur Frau zu geben, hatte nur sein Tod dies im letzten Moment verhindert. Dieser Gedanke war so simpel und doch so überraschend, daß sie jäh stehenblieb und ihre beiden Jungfern in sie hineinstolperten. Es dauerte einen Moment, bis sie sich alle wieder sortiert hatten. Dann gingen sie weiter, aber Briony wünschte, sie müßte nicht in den Kronratssaal. Dieser seltsame, neue Gedanke ließ alles anders aussehen, so wie eine Wolke, die sich vor die Sonne schob, hellichten Tag in jähes Zwielicht verwandelte.
    Aber wer sollte gewaltsam verhindert haben, daß Kendrick mich wegschickt? Und welche Rolle könnte Shaso bei einer solchen Verschwörung spielen?
Oder war der Mord gar nicht verübt worden, damit sie, Briony, in Südmark blieb, sondern weil es jemand auf den Thron abgesehen hatte?
Aber selbst wenn es jemand aus der Familie gewesen wäre, jemand mit einem Blutsrecht wie Gailon Tolly oder Rorick, stünden doch immer noch zwei Personen in der Thronfolge vor ihm — Barrick und ich. Dann müßte derjenige uns ja auch töten.
    Nein, es stehen nicht nur zwei Personen vor Gailon oder Rorick in der Thronfolge,
fiel Briony ein.
Es sind drei. Da ist ja noch das Kind in Anissas Leib.
    Und natürlich würde dieses Kind Thronfolger werden, wenn es keine Geschwister hätte.
    Anissa?
Briony wollte plötzlich keine solchen Gedanken mehr denken. Sie hatte ihre Stiefmutter nie sonderlich gemocht, aber bestimmt würde doch keine Frau eine ganze unschuldige Familie ausrotten, nur um eines ungeborenen Kindes willen — eines Kindes, das vielleicht nicht einmal leben würde? Gewiß doch nicht. Aber es war erschreckend schwer, solche argwöhnischen Gedanken zu

Weitere Kostenlose Bücher