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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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stummer, als Briony die Frage beantwortete. Die Prinzessin sagte, man dürfe ja wohl die Antwort an einen Mann, in dessen Händen das Leben ihres Vaters liege, nicht überstürzen, schon gar nicht in so unruhigen Zeiten. Ferras Vansen hatte das Gefühl, daß ihre Antwort Barrick nicht besonders zu behagen schien, doch der Prinz widersprach nicht, und Nynor blieb nur, grummelnd davonzustapfen, um die Haushaltsfinanzen neu zu ordnen.
    Im Lauf von zwei Stunden handelten die Prinzessin und ihr Bruder mehrere Dutzend solcher Fragen ab. Die versammelten Kronratsmitglieder machten Vorschläge und äußerten in einigen Fällen auch abweichende Meinungen, schienen aber hauptsächlich die Zwillinge bei ihrer neuen Aufgabe zu beobachten — sie regelrecht zu taxieren. Gailon von Gronefeld erhob keinen seiner üblichen Einwände, ja, er schien ebenso mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt wie der Prinz und die Prinzessin. Als die Sache mit Dawet angesprochen wurde, schien Gailon zwar etwas sagen zu wollen, doch dann war der Moment vorbei, und der gutaussehende Herzog fing wieder an, mit einem kleinen Zeremonialdolch am Bein des Ratstisches herumzustochern. Er verbarg offenbar nur mühsam eine heftigere Gereiztheit, aber Ferras Vansen hatte keine Ahnung, worum es dabei gehen könnte. Zum erstenmal sah Vansen den Herzog von Gronefeld als das, was er war: einen Burschen, jünger als er selbst, und weniger geschult darin, Schweigen und Geduld zu bewahren.
    Er muß es ganz schön schwer gehabt haben, mit diesem trunksüchtigen alten Haudrauf als Vater.
Außerhalb des Hofs von Gronefeld wurde der alte Herzog Lindon von niemandem sonderlich vermißt, und Vansen konnte nicht umhin zu denken, daß es vermutlich auch innerhalb des Herzogtums nicht viele gab, die ihm nachtrauerten.
    Der Nachmittag schleppte sich dahin, ohne Interessanteres zu bringen als Berichte über ein jähes Anwachsen der Zahl von seltsamen Kreaturen, die über die Schattengrenze zu kommen schienen. Irgend etwas mit Stacheln und spitzen Zähnen hatte bei Rodetrey ein paar Kinder schwer verletzt, und ein Mann war Opfer einer augenlosen Ziege mit schwarzen Hörnern geworden, die die Dörfler prompt gefangen, getötet und verbrannt hatten. Die meisten Berichte drehten sich jedoch um Kreaturen, die trotz ihrer Seltsamkeit harmlos schienen, viele davon verkrüppelt oder bereits halb tot, als ob sie für die Welt diesseits der Nebelbarriere nicht gerüstet gewesen wären.
    Schließlich verloren auch diese Geschichten ihren Sensationswert. Einige Kronratsmitglieder hörten gar nicht mehr zu und unterhielten sich unverhohlen, auch wenn Brone sie noch so scharf ansah. Vansen stellte überrascht fest, daß der Konnetabel jetzt auch die Rolle des Ersten Ministers übernommen zu haben schien — ein Amt, das seit dem Tod des alten Herzogs von Gronefeld im Vorjahr vakant war. Er fragte sich, ob das vielleicht auch ein Grund für den Unmut des jungen Herzogs war.
    So vieles ist aus den Fugen, seit der König nicht mehr da ist,
dachte er.
    »Und jetzt, wenn es Euren Hoheiten beliebt«, verkündete Avin Brone nach einem langen Disput über den Bau eines neuen Trigonatstempels, der die meisten am Tisch zum Gähnen gebracht hatte, »ist da eine höchst wichtige Angelegenheit, die wir ans Ende gestellt haben.«
    Einige der erschlafften Edelleute merkten jetzt doch wieder auf. Vansen wollte gerade den Zeugen hereinholen, als Brone ihn damit überraschte, daß er ihm den Rücken zukehrte und zwei Personen hereinrief, die Vansen noch nie gesehen hatte, einen rundäugigen Mann und ein junges Mädchen. Der Mann war so kahl wie eine Schildkröte, obwohl er ansonsten gesund und noch nicht so alt wirkte, und auch das Mädchen war seltsam anzuschauen: Sie schien sich nach der Mode von vor hundert Jahren die Augenbrauen gänzlich ausgerupft zu haben, und ihr Haaransatz saß ungewöhnlich hoch. Sie trug einen Rock und ein Umschlagtuch, die ihre Formen weitestgehend verbargen, aber der Mann hatte eindeutig die gewölbte Brust und die langen Arme, die typisch für seinesgleichen waren.
    Skimmer!
Hunderte von Angehörigen dieses wasserliebenden Volks lebten innerhalb der Festungsmauern, und obwohl sie im allgemeinen unter sich blieben, war Vansen doch schon oft welchen begegnet. Aber diese beiden hier im Kronratssaal zu sehen, überraschte ihn, zumal er geglaubt hatte, daß jetzt seine Neuigkeit an der Reihe wäre.
    »Hoheiten«, erklärte Avin Brone, »dies sind der Fischer Turley Langfinger und

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